Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
einmal so lang dauern würde, bis alle Trauben in den Wiener Kellern zur Weiterverarbeitung waren. Die ganze Stadt war am Werken, und keinen Bürger, der arbeiten konnte, hielt es innerhalb der Mauern. Hatte doch fast jeder Hausbesitzer mindestens einen Weingarten, und das bedeutete bares Geld und Wohlstand. Der Weinausschank und der Verkauf von warmen und kalten Speisen obendrein waren mehr als ein lukratives Zubrot. Das merkte man sehr deutlich im vorigen Jahr, als die Ernte wegen des Hagels im Frühjahr und der Trockenheit im Spätsommer fast ganz ausgefallen war. Zwölf Pfennig für ein Fass, reinster Wucher. Ganze Familien verarmten. Und dann noch die Pest! Fast 1000 Verstorbene hatte man am Kolomani Friedhof beim Kärntnertor beigesetzt! Aber Gott sei Dank, dachte Barthel, heuer ist’s ein gutes Jahr und schon wieder etwas entspannter stibitzte er sich eine Beere und schob sie sich in den Mund. Aber gleich darauf sah er zwei Hauerknechte miteinander schwatzen und fuhr sie an: »Ihr wollt die bestbezahlten Arbeitskräfte in der Stadt sein? Dann auf geht’s, schneller, die Rösser wollen heim!«
Was auch nicht weiter verwunderlich war, denn pro Tag zogen über 1200 Pferde 600 Wagenladungen Trauben in die Stadt. Dort verschwand die wertvolle Fracht in den bis zu zwei Stockwerken tiefen Kellern und wurde gepresst, vergoren und gekeltert. Nur eine kleine Menge der Trauben blieb in den Dörfern und wurde außerhalb der Stadtmauern zu Wein veredelt. Bis Martini, also bis zum 11. November, war es diesen Winzern außerhalb der Mauern erlaubt, steuerfrei Wein in die Stadt einzuführen, alles, was nachher geliefert wurde, wurde teurer. Bei jedem ausgeschenkten Wein musste man seit Neuestem ja Steuer zahlen, ein Pfund pro Fuder und ganze sechs Schilling pro Dreiling! Da wurde es auch ohne Einfuhrzoll schon teuer genug! Barthel schnaubte verächtlich. Aber wenigstens mussten die Pfaffen und das Hofgesindel auch bezahlen! Wenigstens was. Mittlerweile war auch der zweite Wagen voll beladen, und Barthel, nun am Ende eines heißen, sonnigen und schweißtreibenden Arbeitstages auch am Ende seiner Kraft, ließ sich müde in die klebrigen Trauben sinken. Er war sowieso schon überall schmutzig, da kam es auf ein paar Mostflecken mehr auch nicht mehr an. Er gab dem Kutscher am Bock ein Zeichen. »Fohrn ma hoam« 5 , gellte sein Ruf über die Weinberge, und ein allgemeines Seufzen machte sich breit. Halbvolle Bottiche wurden noch schnell in die Butten geleert, noch obenauf in einen Wagen gekippt. Alte Weiber, junge Burschen, starke Knechte und so manch zähes Mädchen wischten sich über ihre Kopfbedeckungen, griffen sich ins Kreuz und sicherten sich mit letzter Anstrengung einen Platz auf einem der Pferdefuhrwerke, oder, was auch meistens der Fall war, gingen gebeugt und müde zu Fuß nach Hause. Barthel, seit zwei Dutzend Jahren schon Hauerknecht und von vielen Winzern wegen seiner Zuverlässigkeit geschätzt, fragte sich, während er fast schon einnickte, wie viele Weinlesen er wohl in seinem Alter noch schaffen würde. Er betreute die Weingüter der hohen Frauen, die den Schleier dem profanen Leben vorgezogen hatten. Edle Stifter, hochwohlgeborene Gönner oder andere Leute, die sich einen Platz im Himmel schon jetzt durch Mildtätigkeit sichern wollten, vermachten den Damen gern Weingärten, deren Einkünfte dann zur Gänze der Erhaltung der Klöster dienten. Natürlich konnten und durften die Nonnen nicht selbst den Weingarten bestellen, und so beauftragten sie erfahrene Hauerknechte, die die Ernte einbrachten und die Herstellung des Weines beaufsichtigten. Die Laurenzerinnen hatten in Sievering einen Weingarten, die Clarissen in Stammersdorf, die Himmelspförtnerinnen gleich vor der Seilerstätte, und die Ernte der Büßerinnen fuhr Barthel eben von Grinzing in die Stadt. Alles in allem eine anstrengende Arbeit, von der auch a g’standenes Mannsbild rechtschaffen müde sein durfte!
Als er den Schottenturm von Weitem erblickte und die Gespanne letztendlich den Graben und das Tor passierten, wurde er immer nachdenklicher und unruhiger. Er arbeitete gern, er sah Sinn in dem, was er tat und er war stolz auf den Wein, der aus den schönen Trauben gewonnen wurde. Natürlich – so wie alle Wiener – trank er gern auch einen Schluck oder zwei oder halt ein bisserl mehr. Aber heute, da freute es den Barthel so überhaupt net. Er durfte gar nicht drüber nachdenken, was mit den schönen Trauben geschehen würde, sonst ging ihm
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