Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
musst die Welt sehen, Sander, und musst deine Erfahrungen machen. Diese Fürstenhochzeit ist eine gute Gelegenheit, die Nase in die weite Welt zu strecken und sich einen etwas raueren Wind ins Gesicht wehen zu lassen. Du musst dir deinen Platz in der Welt verdienen, Sander, dann ist er dir etwas wert. Glaube mir«, hier ergriff Bernhard den Arm seines Neffen noch fester, »ich habe ihn mir auch erkämpft. Als Generalkapitän in Italien, als Gesandter des Kaisers hatte ich es nicht leicht, mich zu behaupten. Ich musste als Oberster Richter Urteile fällen, die mich nächtelang wachhielten, die mein Gewissen über Gebühr beanspruchten. Die Eintreibung der Entschädigungszahlungen als königlicher Statthalter hat mir alles abverlangt und meine Menschlichkeit arg untergraben. Und da gab es noch so manches, an das ich lieber gar nicht denken möchte.« Schwer atmend und nach Fassung ringend verstummte der Patriarch.
»Aber«, begann ihn Alexander abzulenken, »du hast ja auch viel Gutes getan. Du hast mir doch von der Basilika in Aquileia erzählt, die du nach dem Erdbeben wieder errichten hast lassen, und was ist mit dem Gesetzbuch, das du verfasst hast? Ach lieber Oheim, das sind doch eine Menge gute Taten, das war doch das, was dir wirklich Freude bereitet hat.«
Aber keine, die all das Unheil, das ich angerichtet habe, sühnen könnten, dachte der Patriarch und fügte laut hinzu, um sein Mündel nicht zu beunruhigen:
»Da hast du recht. Jetzt weiß ich, warum ich dich mitgenommen habe. Wenn mich die Schwermut packt, erzählst du mir von meinen Heldentaten, und schon geht es mir viel besser!«
»Wie geht es denn jetzt weiter, wo werden wir Rast machen?«, fragte Sander jetzt betont fröhlich, um ihn endgültig von einer schweren Vergangenheit wegzuführen, die er seinem Oheim gar nicht zugetraut hatte und von der er, ehrlich gesagt, auch gar nichts wissen wollte. Niemand sollte das perfekte Bild eines Helden, das Bernhard von Randegg über Jahre für seinen Neffen gewesen war, trüben.
»Nun«, und hier schlug Bernhard von Randegg einen munteren Ton an, »wenn der Nachtfrost die Wege weiterhin hart und begehbar macht, dann schaffen wir um die acht Meilen in einem Tagesritt. Ja, schau nicht so, in den Bergen wird das Klima rauer, da gibt es schon im Herbst Frost. Aber vorher bleiben wir noch in wärmeren Gegenden, hinter Bologna, Ferrara, Verona und Trient geht es sicherlich langsamer.«
»Wo gehen wir über die Alpen?«
»Mein Sohn, wir gehen den ausgetretenen Pfad der Via Imperii, den schon die Römer gewandert sind. Nach dem Eisacktal geht es am Saumpfad über den Brenner, doch davor nehmen wir noch jemanden auf.« Vielsagend grinste Bernhard.
»Na sag schon, lieber Oheim, wer kommt noch mit? Ich kenne doch diesen Blick. Was ist das für eine Überraschung?«
»Wir werden noch Gäste aus dem Pustertal treffen, von der Burg von Schöneck, die den Herren von Rodeneck einst gehörte. Von dort aus bricht ebenfalls eine kleine Reisegruppe auf.«
»Wer soll denn von dort zu uns stoßen?«
»Der ehemalige Hauptmann, Friedrich von Wolkenberg. Er möchte uns seinen Sohn anvertrauen. Ich möchte ihn als meinen Knappen mit auf die Reise nehmen, nach Augsburg und dann weiter nach Wien.«
»Wie, wir nehmen den Sohn des ehemaligen Hauptmanns einfach mit? Als Knappen?«
»Ja, der ist in deinem Alter. Vielleicht ein wenig jünger sogar.«
Alexander grinste. »Das ist gut.«
Bernhard lächelte ebenfalls. »Ich weiß dein Entgegenkommen, mich zu begleiten, sehr zu schätzen. Aber ich möchte das nicht zu sehr strapazieren. Die Gespräche eines Alten mit einem 14-Jährigen können manches Mal recht erbaulich sein. Aber ich kann mir vorstellen, dass auch deine Geduld mit einem Greis wie mir Grenzen kennt und du lieber einmal mit deinesgleichen dem Spaß und der Narretei den Vorzug gibst.«
»Kommt darauf an, ob dieser – wie heißt er?
»Wolkenberg.«
»Ja, also ob dieser Wolkenberg überhaupt zur Possenreißerei aufgelegt sein wird. Meistens haben ja so junge Knappen Angst vor allem und jedem«, bemerkte Sander altklug.
Hier lachte Bernhard in sich hinein.
»Nun, nach den Schilderungen seines Vaters ist er nicht auf den Mund gefallen und lässt keine Begebenheit aus, die es wert ist, besungen zu werden. Du wirst schon sehen oder besser hören.«
Nach einer kleinen Pause fügte er listig hinzu:
»Ewald heißt der Jüngling übrigens. Ewald von Wolkenberg.«
*
Ein Stück außerhalb der Stadtmauern, wo
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