Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
er ängstlich zu seinem Gegenüber.
»Nein, die ist auch noch in diesen Räumen, gut aufgehoben, aber sehr schweigsam …« Puchheim zwinkerte vor Vergnügen, doch Fichtenstein überging kalt seinen unangebrachten Scherz.
»Der Heilige Prothasius, sein Unterkiefer?«
»Nein.« Mittlerweile bereitete Puchheim dieses Ratespiel viel Kurzweil.
»Ja dann …« Selbst Puchheim, dessen hervorragende Eigenschaft eher die Eitelkeit als das Mitgefühl war, erschrak über die Trostlosigkeit, die sich augenblicklich im Gesicht seines Gegenübers spiegelte.
»Ja dann müssen es wohl die Marterwerkzeuge des Heiligen Bartholomäus sein, die abhandengekommen sind.« Ein unwiederbringliches Versäumnis, dieses Heiligtum nicht in seinen eigenen Besitz gebracht zu haben! Fichtenstein hielt inne und dachte nach, bevor er aufgeregt fortfuhr: »Ich entsinne mich, dass die Chorherren aus dem Elsass über die Inbesitznahme unseres Kaisers gar nicht erfreut waren, vielleicht wollten sie ihr Eigentum um jeden Preis zurück?«
»Nein, diese Spur wurde vom Herzog bereits verfolgt, ohne fündig zu werden.« Puchheim streckte sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und richtete sich auf, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. Es bedeutete ihm sehr viel, seine Geltung für den Wiener Hof unter Beweis zu stellen. Aber Puchheims Mühe, sich wichtig zu machen, war vergebens. Die Gedanken seines Gegenübers galten nicht ihm, sondern einem der Zwölf Apostel. Fichtenstein konnte sich zu gut der Kraft entsinnen, die auf ihn übergegangen war, als er als junger Reisender im Dom von Frankfurt geweilt hatte. Wie gegenwärtig war ihm diese durch und durch heilige Empfindung bis zum heutigen Tag! Der Heilige Bartholomäus, dessen Hirnschale er betrachten durfte! Wie groß war die Freude, als der Kaiser die Martermesser als Reliquie dann endlich aus Schwaben mit nach Wien, in seine Stadt, brachte! Jene Messer, mit dem der Apostel gehäutet wurde! Was für eine Stärke! Es schmerzte körperlich, wenn er sich diese Zauberdinge, diese Quellen der Kraft und Erleuchtung in unwürdigen Händen vorstellte. Alle Hände, außer den seinen, waren unwürdig.
Er hörte Puchheim, der weiter lautstark deklamierte und gestenreich erklärte, nicht mehr zu. Wie ein alter Hund, der Schläge nur mehr stoisch ertrug, wandte er sich ab, tief in Gedanken versunken. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die zu verbergen er nicht für nötig fand. Wie sollte er es nur anstellen, diese Wunderdinge in seinen Besitz zu bringen? Wer nur war ihm zuvorgekommen? Wo waren seine guten Verbindungen?
Die Betenden in der Kirche staunten nicht schlecht, als sie den Hofmeister des Herzogs persönlich zu so früher Stunde im Dom sahen. Doch ihm war es gleichgültig, dass hinter ihm ein Getuschel einsetzte. Er hörte nicht, als er von Mitgliedern des Inneren Rates begrüßt wurde, als er aus der Kirche trat. Er reagierte nicht auf die Rufe »Hofmeister Fichtenstein, Gott zum Gruß«, die sie ihm nachriefen. Er hörte einzig und allein die Marterschreie des gequälten Bartholomäus in seinem inneren Ohr, sein Leiden und sein Weinen, das übergangslos in seine eigene Traurigkeit überging. Und er wusste an diesem Morgen im Mai, der so verheißungsvoll in dieser Stadt begonnen hatte und der in so einer Katastrophe endete, nur das eine: Er, Hofmeister Fichtenstein, würde nicht eher ruhen, bis er die Spur der verschwundenen Marterwerkzeuge aufgenommen, sie gefunden und in seinen Besitz gebracht hatte. Er brauchte diese heiligen Objekte um sich, nur so war sein Leben zu ertragen, seine Ängste zu beherrschen, seine Gier zu stillen. Ausgestattet mit dieser Kraft würde er jedem die Stirn bieten, dem Pöbel, der Bürgerschaft und dem Herzog, so wahr er Hofmeister war in Wien, in seiner Stadt: Hofmeister Johann Fichtenstein.
*
Ruhe breitete sich in der Klosterküche aus, und niemand vermisste das stetige Geplapper von Marlen, die nun endlich zu ihrem Chorgebet in die Kirche gegangen war. Nur das Kochwasser blubberte beruhigend vor sich hin, unterbrochen von einem lauteren Platschen, wenn Yrmel wieder eine fertig geschabte Rübe hineinwarf. Weinberl schnarchte ganz leise in ihrer Ecke, nur die struppigen, abgelaufenen Pfoten zuckten auf und ab, wie wenn die Hündin im Traum Meile um Meile über Stock und Stein zurücklegen würde. Johanna knetete den Brotteig mit ihren starken Armen, die nun, wo sie die Ärmel der rauen Kutte bis über die Ellenbogen gekrempelt hatte, grau vom
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