Das Geld - 18
drin, aber Sie können nicht hinein.«
»Wieso kann ich nicht hinein?«
»Eine Dame ist bei ihm.«
Sie wurde ganz weiß im Gesicht, und Dejoie, der von ihren Beziehungen nichts wußte, blinzelte mit den Augen, machte einen langen Hals und deutete durch eine ausdrucksvolle Mimik das Abenteuer an.
»Wer ist diese Dame?« fragte sie kurz angebunden.
Er hatte keinen Grund, seiner Wohltäterin den Namen zu verschweigen. Er neigte sich zu ihrem Ohr.
»Die Baronin Sandorff … Oh, die schwänzelt schon lange hier herum!«
Frau Caroline stand einen Augenblick wie angewurzelt da. Im Dunkel des Flurs konnte man die fahle Blässe auf ihrem Gesicht nicht erkennen. Mitten im Herzen hatte sie einen so stechenden, so grausamen Schmerz verspürt, daß sie sich nicht entsinnen konnte, jemals so gelitten zu haben, und die Bestürzung über diese abscheuliche Kränkung nagelte sie dort fest. Was sollte sie jetzt tun, die Tür einschlagen, über diese Frau herfallen, sie beide ohrfeigen und einen Skandal machen?
Und wie sie noch willenlos dastand, wie betäubt, wurde sie freudestrahlend von Marcelle angesprochen, die gekommen war, ihren Mann abzuholen. Die junge Frau hatte neulich ihre Bekanntschaft gemacht.
»Sieh mal einer an! Sie sind es, liebe gnädige Frau … Stellen Sie sich vor, heute abend gehen wir ins Theater. Oh, das ist eine Geschichte für sich, es darf nicht viel kosten … Aber Paul hat ein kleines Restaurant entdeckt, wo wir für fünfunddreißig Sous pro Nase schmausen können …«
Jordan kam herbei und fiel seiner Frau lachend ins Wort.
»Zwei Gänge, eine Karaffe Wein und Brot, soviel man will.«
»Und dann«, fuhr Marcelle fort, »nehmen wir keinen Wagen, es macht soviel Spaß, zu Fuß heimzugehen, wenn es schon sehr spät ist! Heute abend leisten wir uns einen Mandelkuchen zu zwanzig Sous, weil wir reich sind … Ein richtiges Fest wird das sein, ein tolles Gelage!«
Entzückt ging sie am Arm ihres Mannes davon. Und Frau Caroline, die mit ihnen in das Vorzimmer zurückgekehrt war, hatte wieder die Kraft zu lächeln.
»Viel Spaß!« murmelte sie mit zitternder Stimme.
Dann ging auch sie. Sie liebte Saccard, sie trug ihr Erstaunen und ihren Schmerz über die Entdeckung davon, wie eine Wunde, deren sie sich schämte und die sie nicht zeigen wollte.
Siebentes Kapitel
Zwei Monate später, an einem grauen und milden Novembernachmittag, ging Frau Caroline gleich nach dem Mittagessen in den Zeichensaal hinauf, um sich an die Arbeit zu setzen. Ihr Bruder, der zu der Zeit in Konstantinopel mit seinem großen Unternehmen der Orient-Eisenbahnen beschäftigt war, hatte sie beauftragt, alle Notizen durchzusehen, die er sich früher, bei ihrer ersten Reise, gemacht hatte, und dann eine Art Denkschrift zu verfassen, gleichsam ein historisches Resümee des ganzen Problems; nun versuchte sie sich seit zwei langen Wochen ganz in diese Arbeit zu vertiefen. An jenem Tag war es so warm, daß sie das Feuer ausgehen ließ und das Fenster öffnete, und bevor sie sich setzte, betrachtete sie einen Augenblick die großen kahlen Bäume des Palais Beauvilliers, die sich blaßviolett vom bleichen Himmel abhoben.
Nachdem sie fast eine halbe Stunde geschrieben hatte, wurde sie aufgehalten, weil sie ein Schriftstück brauchte und unter den Akten, die sich auf ihrem Tisch türmten, lange danach suchen mußte. Sie stand auf, wühlte in anderen Papieren und kehrte mit vollen Händen an ihren Platz zurück; als sie die fliegenden Blätter ordnete, stieß sie auf Heiligenbilder, eine kolorierte Ansicht vom Heiligen Grab, ein von den Symbolen der Passion Christi umrahmtes Gebet, das die gefährdete Seele in den Augenblicken der Not retten sollte. Da erinnerte sie sich, ihr Bruder, dieses fromme große Kind, hatte diese Bilder in Jerusalem gekauft. Eine plötzliche Rührung überkam sie, Tränen netzten ihr die Wangen. Ach, ihr Bruder – so intelligent, so lange verkannt! Doch wie glücklich war er, daß er glauben konnte, daß er nicht lächeln mußte über dieses kindliche Bonbonschachtelbild vom Heiligen Grab und eine heitere Kraft aus seinem Glauben an die Wirksamkeit dieses in Zuckerbäckerversen gereimten Gebets zu schöpfen vermochte! Sie sah ihn wieder vor sich in seiner allzu großen Vertrauensseligkeit, wie er sich vielleicht allzu leicht hintergehen ließ, dabei aber so aufrecht, so ruhig blieb, nicht aufbegehrte, ja nicht einmal kämpfte. Und sie, die seit zwei Monaten kämpfte und litt, sie, die ihren Glauben verloren
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