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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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in einem letzten Zusammenprall alles kaputtgeht und in die Luft fliegt. Sie war keineswegs eine Närrin oder eine alberne Gans, die man täuschen konnte; selbst wenn sie sich in der Abwicklung der Bankgeschäfte nicht auskannte, begriff sie sehr wohl die Gründe für diese Überhitzung, für diese fieberhafte Geschäftigkeit, die die Menge berauschen und mit hineinreißen sollte in diese Wahnsinnsepidemie des Tanzes der Millionen. Jeder Tag mußte seine Hausse bringen, man wollte den Glauben an immer größere Erfolge wecken, an monumentale Bankschalter, Zauberschalter, die Flüsse von Gold aufsogen, um sie in Ströme, in Ozeane von Gold zu verwandeln. Sollte sie ihren armen verführten Bruder, der so leichtgläubig war, verraten und ihn in dieser Flut, die sie eines Tages alle zu ertränken drohte, im Stich lassen? Sie war verzweifelt über ihre Untätigkeit und ihre Ohnmacht.
    Indessen brach die Dämmerung herein, das erloschene Feuer erhellte den Zeichensaal nicht einmal mehr mit einem schwachen Abglanz, und in dieser dichten Finsternis weinte Frau Caroline noch heftiger. Es war feige, so zu weinen, denn sie fühlte wohl, daß die vielen Tränen nicht von ihrer Unruhe über die Geschäfte der Banque Universelle herrührten. Sie wußte, es war Saccard ganz allein, der den schrecklichen Galopp befahl, der mit einer ungewöhnlichen Skrupellosigkeit grausam auf das Tier einpeitschte, selbst auf die Gefahr hin, es zuschanden zu reiten. Er war der einzig Schuldige, und ihr schauderte, wenn sie versuchte, in ihm zu lesen, in dieser dunklen Seele eines Geldmannes, die er selbst nicht einmal kannte, in der der Schatten den Schatten verbarg, den endlosen Morast aller möglichen Verkommenheit. Was sie darin noch nicht deutlich erkennen konnte, ahnte sie, und sie zitterte davor. Aber die Furcht, allmählich so viele Wunden entdecken zu müssen, die Furcht vor einer möglichen Katastrophe hätte sie nicht auf diesen Tisch niedergeworfen, kraftlos und in Tränen aufgelöst, hätte sie vielmehr in dem Verlangen nach Kampf und Genesung wiederaufgerichtet. Sie kannte sich, sie war eine Kämpfernatur. Nein, wenn sie jetzt schluchzte wie ein schwaches Kind, so deshalb, weil sie Saccard liebte und weil Saccard in ebendiesem Augenblick mit einer anderen Frau zusammen war! Und dieses Geständnis, das sie sich ablegen mußte, erfüllte sie mit Scham, ließ ihre Tränen so heftig fließen, daß sie fast daran erstickte.
    »Kein Stolz mehr, mein Gott!« stammelte sie laut. »So schwach und erbärmlich zu sein! Nicht können, wenn man will!«
    In diesem Moment hörte sie voll Verwunderung im Zimmer nebenan eine Stimme. Maxime war gekommen, der vertraute Freund des Hauses.
    »Was, Sie sitzen ohne Licht und weinen?«
    Verwirrt, daß man sie so überraschte, mühte sie sich, ihr Schluchzen zu unterdrücken, während er hinzufügte:
    »Ich bitte Sie um Verzeihung, ich glaubte, mein Vater sei schon von der Börse zurück … Eine Dame hat mich gebeten, ihn zum Diner mitzubringen.«
    Der Kammerdiener brachte eine Lampe, stellte sie auf den Tisch und zog sich wieder zurück. Der ganze große Raum war erhellt von dem gedämpften Licht, das aus dem Lampenschirm fiel.
    »Es ist nichts weiter«, wollte Frau Caroline erklären, »das Wehwehchen einer Frau, und das bei mir, wo ich doch sonst keine schwachen Nerven habe.«
    Ihre Tränen versiegten, sie richtete sich auf und lächelte schon wieder mit ihrer heldenhaften Miene einer Kämpferin. Der junge Mann schaute sie einen Augenblick an, wie sie so stolz dasaß mit ihren großen klaren Augen und den starken Lippen, mit ihrem Gesicht voll tapferer Güte, dem die dichte Krone des weißen Haars Milde und einen großen Reiz verlieh; und er fand sie jung mit ihrem schneeweißen Haar und den blendendweißen Zähnen, sie schien ihm eine anbetungswürdige, zu voller Schönheit erblühte Frau. Dann dachte er an seinen Vater, und er zuckte voll verächtlichen Mitleids die Achseln.
    »Nicht wahr, Sie sind seinetwegen in einem solchen Zustand?«
    Sie wollte leugnen, aber es schnürte ihr die Kehle zu, und Tränen stiegen ihr wieder in die Augen.
    »Ach, arme Frau Caroline, ich sagte Ihnen doch, daß Sie sich über Papa Illusionen machen und daß man es Ihnen schlecht lohnen würde … Es mußte so kommen, er hat auch Sie zugrunde gerichtet!«
    Nun entsann sie sich des Tages, als sie zu ihm gegangen war, um sich die zweitausend Francs für die Anzahlung auf Victors Lösegeld zu leihen. Hatte er ihr nicht

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