Das Geld - 18
zur unumschränkten Beherrscherin des Marktes aufschwang. Und schließlich gewann die geschickt geleitete »Espérance« von Tag zu Tag eine immer größere politische Bedeutung. Starke Beachtung fand eine Artikelserie über das Dekret vom 19. Januar89, das die Adresse durch das Interpellationsrecht ersetzte, ein neues Zugeständnis des Kaisers auf dem Wege zur Liberalität. Saccard, der die Anregung zu diesen Artikeln gab, ließ darin noch keinen offenen Angriff auf seinen Bruder vortragen, der trotz allem Staatsminister geblieben war und sich bei seiner Leidenschaft für die Macht darein fügte, heute zu verteidigen, was er gestern verurteilt hatte; aber man spürte, wie Saccard auf der Lauer lag, wie er die unnatürliche Stellung Rougons überwachte, der in der Kammer vom Tiers Parti, den es nach seinem Erbe gelüstete, und von den Klerikalen, die mit den radikalen Bonapartisten gegen das liberale Kaiserreich verbündet waren, in die Zange genommen wurde; schon gab es die ersten versteckten Anspielungen, die Zeitung wurde wieder militant katholisch und reagierte auf jede Regierungshandlung des Ministers säuerlich. Der Übergang zur Opposition verhalf der »Espérance« zur Popularität, ein Sturmwind der Unzufriedenheit trug den Namen der Banque Universelle in alle vier Himmelsrichtungen Frankreichs und der Welt.
Unter dem Druck dieser gewaltigen Reklame inmitten einer überhitzten Atmosphäre, die reif für jeden Wahnsinn war, wurden durch die mutmaßliche Kapitalerhöhung, durch das Gerücht über eine neuerliche Emission von fünfzig Millionen, auch die Vernünftigsten von dem Fieber angesteckt. In den bescheidensten Wohnungen wie in den Adelspalästen, in den Pförtnerlogen wie in den Salons der Herzoginnen fingen die Köpfe Feuer, die schwärmerische Bewunderung schlug um in blinden, heroischen, kampflüsternen Glauben. Man zählte auf, wieviel große Dinge die Banque Universelle schon vollbracht hatte, die ersten Erfolge, die wie ein Blitz einschlugen, die unerwarteten Dividenden, wie sie keine andere Gesellschaft in ihren Anfängen hatte ausschütten können. Man erinnerte an die gute Idee mit der Gesellschaft der vereinigten Dampfschiffahrtslinien, die so rasch großartige Ergebnisse gezeitigt hatte und deren Aktien schon hundert Francs über pari standen; an das Silberbergwerk im Karmel mit seiner wunderbaren Ausbeute, auf das ein Kanzelredner anläßlich der letzten Marienfasten angespielt hatte, als er von einem Gottesgeschenk für die gläubige Christenheit sprach; an andere Gesellschaften, gegründet für den Abbau unermeßlicher Steinkohlenlager und für den regelmäßigen Einschlag in den ausgedehnten Wäldern des Libanon; schließlich an die Gründung der Türkischen Nationalbank in Konstantinopel, die von einer unerschütterlichen Solidität war. Kein einziger Mißerfolg, nur wachsendes Glück, das alles, womit die Firma sich befaßte, in Gold verwandelte; die stattliche Zahl blühender Unternehmungen bildete bereits eine solide Grundlage für die künftigen Geschäfte und rechtfertigte die rasche Kapitalerhöhung. Vor den überhitzten Gemütern tat sich die Zukunft auf, diese Zukunft, die mit noch bedeutenderen Unternehmungen schwanger ging, so daß sie die Forderung nach den fünfzig Millionen zur Notwendigkeit erhob und ihre bloße Ankündigung genügte, die Köpfe derart in Aufruhr zu versetzen. Hier waren den Gerüchten an der Börse und in den Salons keine Grenzen gesetzt; aber das nächste große Geschäft der Gesellschaft der Orient- Eisenbahnen ragte aus den übrigen Vorhaben heraus und beherrschte alle Gespräche, von den einen in Abrede gestellt, von den anderen gepriesen. Die Frauen zumal ereiferten sich und betrieben eine überschwengliche Propaganda zugunsten dieses Plans. In den Ecken der Boudoirs, bei Galadiners, hinter blühenden Blumenkrippen, zu später Teestunde und sogar im Dunkel der Alkoven gab es zauberhafte Geschöpfe von einschmeichelnder Überredungskunst, die den Männern die Leviten lasen: »Wie, Sie haben keine Universelle-Aktien? Aber das ist doch das einzig Wahre! Kaufen Sie schnell Universelle-Aktien, wenn Sie wollen, daß man Sie liebt!« Das war der neue Kreuzzug, wie sie sagten, die Eroberung Asiens, die den Kreuzrittern unter Peter dem Eremiten90 und Ludwig dem Heiligen91 nicht gelungen war und die sie nun, die Frauen, mit ihren kleinen Börsen voll Gold in die Hand nahmen. Alle taten so, als wüßten sie genau Bescheid, sprachen in Fachausdrücken über die
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