Das Geld - 18
Hauptstrecke, die als erste eröffnet werden und von Brussa über Angora und Aleppo nach Beirut führen sollte. Später käme die Linie von Smyrna nach Angora hinzu, dann die von Trapezunt über Erzerum und Siwas nach Angora, noch später die von Damaskus nach Beirut. Und hier lächelten sie, blinzelten mit den Augen, flüsterten, daß es vielleicht noch eine andere Linie geben würde, in ferner Zukunft natürlich erst, von Beirut nach Jerusalem über die alten Küstenstädte wie Saida, Akka, Jaffa und dann – mein Gott, wer weiß? – von Jerusalem nach Port Said und Alexandria. Ganz davon zu schweigen, daß es von Damaskus nicht weit bis Bagdad war und daß, wenn dorthin eine Bahnlinie vorgetrieben war, eines Tages Persien, Indien und China für das Abendland gewonnen wären. Es schien, als brauchten sie nur ihren hübschen Mund auf zutun, und die wiedergefundenen Schätze der Kalifen erstrahlten wie in einem wunderbaren Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Es regnete die erträumten Juwelen und Geschmeide in die Kassen der Rue de Londres, während der Weihrauch aus dem Karmel aufstieg und einen zarten, verschwommenen Hintergrund aus biblischen Legenden wob, der die unersättliche Gier nach Gewinn vergöttlichte. War dies nicht das zurückeroberte Eden, das befreite Heilige Land, der Sieg der Religion an der Wiege der Menschheit? Und sie hielten inne, weigerten sich, mehr zu verraten, aber ihre Blicke erglänzten von dem, was sie verheimlichen mußten. Das vertrauten sie einander nicht mal im Flüsterton an. Viele von ihnen wußten es gar nicht, gaben aber vor, es zu wissen. Das war das Geheimnis, das vielleicht nie Wirklichkeit würde, vielleicht eines Tages wie ein Blitz einschlagen sollte: Jerusalem vom Sultan losgekauft und dem Papst geschenkt, mit Syrien als Königreich; das Papsttum mit einem durch die katholische Bank zum Heiligen Grab gesicherten Budget ausgestattet, das es vor politischen Wirren schützen würde. Der Katholizismus, verjüngt und hinfort nicht mehr kompromittiert, fände zurück zu neuer Autorität und könnte von der Höhe des Berges herab, wo Christus verschieden war, die Welt beherrschen.
Saccard war jetzt jeden Morgen gezwungen, die Tür zu seinem prunkvollen Arbeitszimmer im Louis- Quatorze-Stil zu verschließen, wenn er arbeiten wollte; alles stürmte auf ihn ein, das Defilee eines Hofstaates, der gleichsam zum Lever eines Königs kam, Höflinge, Geschäftsleute, Bittsteller, eine zügellose Anbetung und Bettelei drängte sich rings um die Allmacht. An einem Morgen in den ersten Julitagen zeigte er sich besonders unerbittlich und erteilte ausdrücklich Befehl, niemand vorzulassen. Während das Vorzimmer überfüllt war von einer Menschenmenge, die trotz der Abweisung durch den Türsteher nicht weichen wollte, sondern wartete und die Hoffnung nicht aufgab, hatte er sich mit zwei Abteilungsleitern eingeschlossen, um die letzten Einzelheiten der neuen Emission zu besprechen. Nach Prüfung mehrerer Vorschläge hatte er sich für eine Kombination entschlossen, die es dank der neuerlichen Emission von hunderttausend Aktien ermöglichen sollte, die alten zweihunderttausend Aktien vollzuzahlen, auf die nur hundertfünfundzwanzig Francs eingezahlt worden waren; um das zu erreichen, sollte die neue Aktie, die ausschließlich den Altaktionären im Verhältnis einer jungen Aktie für zwei alte zum Bezug angeboten wurde, zu achthundertfünfzig Francs – sofort zahlbar – emittiert werden, davon fünfhundert Francs für das Kapital und dreihundertfünfzig Francs Prämie für die geplante Vollzahlung. Aber es ergaben sich Komplikationen, es war immer noch ein großes Loch zuzustopfen, was Saccard ganz nervös machte. Der Stimmenlärm aus dem Vorzimmer machte ihn gereizt. Dieses vor ihm auf dem Bauch liegende Paris, diese Huldigungen, die er sonst mit der Biederkeit eines leutseligen Despoten entgegennahm, erfüllten ihn an jenem Tage mit Verachtung. Und als sich Dejoie, der ihm morgens zuweilen als Türsteher diente, erlaubte, von der anderen Seite her durch eine kleine Nebentür zu erscheinen, empfing er ihn wütend.
»Was ist los? Ich habe Ihnen doch gesagt, ich bin für niemand, für niemand zu sprechen, haben Sie verstanden? Da nehmen Sie meinen Spazierstock und pflanzen Sie ihn vor meine Tür, und dann mögen ihn die Leute küssen!«
Dejoie war ungerührt und drängte weiter.
»Verzeihung, Herr Saccard, die Gräfin Beauvilliers ist da. Sie hat mich inständig gebeten, und weil ich weiß,
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