Das Geld - 18
Sie stand immer noch da, aber sehr verschwommen vor dem Hintergrund der hereinbrechenden Nacht, gleichsam hingeschmolzen unter dem Bahrtuch des Regens, ein bleiches Börsengespenst, das sich jeden Augenblick in eine graue Dunstwolke auflösen konnte.
»Übrigens bin ich schön dumm, mich zu streiten. Das ist unmöglich … Schaffen Sie doch das Geld ab, das möchte ich mal sehen.«
»Ach was!« murmelte Sigismond. »Alles wird abgeschafft, alles wandelt sich und verschwindet … So haben wir doch schon einmal gesehen, wie sich die Form des Reichtums änderte, als der Wert des Bodens gesunken ist, als der Landbesitz, die Güter, die Felder und Wälder, gegenüber dem beweglichen, gewerblichen Vermögen, gegenüber den Staatspapieren und Aktien an Wert verlor, und wir können heute einen vorzeitigen Verfall des letzteren beobachten, eine Art rascher Entwertung, denn es steht fest, daß der Zinsfuß sinkt, daß die normalen fünf Prozent nicht mehr erreicht werden … Der Wert des Geldes nimmt also ab, warum sollte das Geld nicht ganz verschwinden, warum sollte nicht eine neue Vermögensform die gesellschaftlichen Beziehungen regeln? Dieses Vermögen der Zukunft sind unsere Arbeitsgutscheine.«
Er hatte sich in die Betrachtung des Sous vertieft, als träumte ihm, er hielte den letzten Sou aus längst vergangenen Zeiten in der Hand, der sich verirrt und die alte, tote Gesellschaft überlebt hatte. Wieviel Freuden und wieviel Tränen hatten das unscheinbare Metall abgenutzt! Und er war in die Trauer über die ewige menschliche Sehnsucht versunken.
»Ja«, fuhr er leise fort, »Sie haben recht, wir werden diese Dinge nicht erleben. Dazu braucht es Jahre und Jahre. Weiß man denn, ob je die Nächstenliebe genug Kraft aufbringen kann, um den Egoismus in der Organisation der Gesellschaft zu ersetzen … Und doch habe ich gehofft, der Sieg wäre nicht mehr so fern, ich hätte so gern diese Morgenröte der Gerechtigkeit noch erlebt!«
Einen Augenblick versagte ihm die Stimme vor Bitternis über die Krankheit, an der er litt. Er, der den Tod verneinte und ihn behandelte, als gäbe es ihn gar nicht, schien ihn mit einer Gebärde beiseite schieben zu wollen. Aber schon fügte er sich.
»Ich habe meine Aufgabe erfüllt, ich hinterlasse meine Aufzeichnungen, falls ich nicht mehr die Zeit habe, das vollständige Werk des Wiederaufbaus, von dem ich träume, auszuarbeiten. Die Gesellschaft von morgen muß die reife Frucht der Zivilisation sein, denn wenn man nicht das Gute des Wettbewerbs und der Kontrolle bewahrt, bricht alles zusammen … Ach, wie deutlich sehe ich jetzt diese Gesellschaft vor mir, wie sie endlich begründet ist, ganz so, wie ich sie nach so vielen Nachtwachen zu errichten vermochte! Alles ist berücksichtigt, alles ist gelöst, endlich gibt es die unumschränkte Gerechtigkeit, das vollkommene Glück. Da steht sie auf dem Papier, mathematisch exakt und endgültig.«
Und er ließ die schmalen, abgezehrten Hände über die verstreuten Aufzeichnungen gleiten und geriet ins Schwärmen, träumte von den zurückeroberten, gerecht unter die Menschen aufgeteilten Milliarden, von der Freude und der Gesundheit, die er der leidenden Menschheit mit einem Federstrich zurückgab, er, der nicht mehr essen und nicht mehr schlafen konnte, der bedürfnislos in der Nacktheit seiner Kammer zugrunde ging.
Da ließ eine rauhe Stimme Saccard zusammenfahren.
»Was machen Sie denn da?«
Busch war nach Hause gekommen und warf den schiefen Blick eines eifersüchtigen Liebhabers auf den Besucher, denn er lebte in der ständigen Furcht, sein Bruder könnte einen Hustenanfall bekommen, wenn man ihn zuviel reden ließ. Übrigens wartete er die Antwort gar nicht ab, er schimpfte in mütterlicher Verzweiflung.
»Wieso hast du denn schon wieder deinen Ofen ausgehen lassen! Wie kannst du denn bloß, frage ich dich, bei so einer Nässe!«
Schon kniete er sich hin mit seinem schweren großen Körper, machte Holz klein und zündete das Feuer wieder an. Dann holte er einen Besen, kehrte zusammen, sorgte sich wegen der Arznei, die der Kranke alle zwei Stunden einnehmen sollte, und war erst wieder ruhig, als er Sigismond bewogen hatte, sich auf dem Bett auszustrecken und sich auszuruhen.
»Herr Saccard, wenn Sie in mein Arbeitszimmer kommen wollen …«
Frau Méchain saß darin, auf dem einzigen Stuhl. Sie und Busch hatten eben in der Nachbarschaft einen wichtigen Besuch abgestattet, über dessen vollen Erfolg sie entzückt waren. Endlich kam
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