Das Geld - 18
war, schrieb Briefe voll tödlicher Unruhe wegen dieser übertriebenen Hausse, die er sich nicht erklären konnte, die um jeden Preis gebremst werden mußte, auch wenn man Hals über Kopf in den Abgrund stürzte. Noch tags zuvor hatte sie einen Brief bekommen, in dem er ihr ausdrücklich die Weisung erteilte zu verkaufen. Und sie hatte verkauft.
»Sie, Sie!« wiederholte Saccard. »
Sie
haben mich also bekämpft,
Sie
habe ich im dunkeln gespürt!
Ihre
Aktien habe ich zurückkaufen müssen!«
Er brauste nicht auf wie sonst, aber unter seiner Niedergeschlagenheit litt sie noch mehr; sie hätte ihn überzeugen, überreden mögen, diesen gnadenlosen Kampf aufzugeben, der nur mit einem Gemetzel enden konnte.
»Mein Freund, hören Sie mich an … Bedenken Sie doch, unsere dreitausend Aktien haben mehr als siebeneinhalb Millionen eingebracht. Ist das nicht ein unverhoffter, ganz unvorstellbarer Gewinn? Dieses viele Geld erschreckt mich, ich kann nicht glauben, daß es mir gehört … Aber es geht ja nicht um unseren persönlichen Vorteil. Denken Sie doch an die Interessen all derer, die Ihnen ihr Vermögen in die Hände gegeben haben, ein erschreckender Millionenbetrag, den Sie bei der Partie aufs Spiel setzen. Warum stützen Sie diese unsinnige Hausse, warum heizen Sie sie noch an? Man sagt mir von allen Seiten, am Ende stehe unvermeidlich die Katastrophe … Die Aktien können nicht endlos steigen, es ist keine Schande, wenn die Papiere auf ihren tatsächlichen Wert zurückgehen, und das bedeutet ein kreditfähiges Haus, das ist die Rettung.«
Saccard war erregt aufgestanden.
»Ich will den Kurs von dreitausend … Ich habe gekauft, und ich werde weiter kaufen, auch wenn ich dabei krepiere … Ja, krepieren will ich, und alles soll mit mir krepieren, wenn ich den Kurs von dreitausend nicht schaffe und halte!«
Nach der Liquidation vom 15. Dezember stiegen die Kurse auf zweitausendachthundert, zweitausendneunhundert. Und am 21. wurde an der Börse mitten im Toben der rasenden Menge der Kurs von dreitausendzwanzig Francs ausgerufen. Es gab keine Wahrheit und keine Logik mehr, der Wertbegriff war so verfälscht, daß er jeden realen Sinn verloren hatte. Es lief das Gerücht um, Gundermann habe sich entgegen seiner gewohnten Vorsicht auf schreckliche Risiken eingelassen; seitdem er monatelang die Kurse drücke, seien seine Verluste am Medio je nach der Hausse sprunghaft in die Höhe geschnellt; es hieß sogar schon, er habe sich vielleicht das Genick gebrochen. Alle Hirne waren in Aufruhr, man erwartete Wunderdinge.
Und in diesem letzten Augenblick, da Saccard den Gipfel erreicht hatte und in der uneingestandenen Furcht vor dem Sturz die Erde beben fühlte, war er der König. Wenn sein Wagen in der Rue de Londres vor dem triumphalen Palast der Banque Universelle vorfuhr, eilte ein Diener herbei und rollte einen Teppich aus, von den Stufen des Vestibüls über den Bürgersteig bis zur Gosse; dann erst geruhte Saccard, aus dem Wagen zu steigen, und hielt seinen Einzug, ein unumschränkter Herrscher, dem man das gemeine Straßenpflaster ersparte.
Zehntes Kapitel
Am Tage der Dezemberliquidation Ende des Jahres war der große Börsensaal schon um halb eins gefüllt von einer Menschenmenge, deren Stimmen und Gebärden höchste Erregung verrieten. Seit Wochen bereits hatte die Gärung zugenommen und erreichte nun an diesem letzten Kampftag ihren Höhepunkt in dem hektischen Gewühl, das die bevorstehende Entscheidungsschlacht ankündigte. Draußen war ein ganz schrecklicher Frost, aber eine klare Wintersonne drang mit ihren schrägen Strahlen durch das hohe Glasdach und tauchte die eine Seite des kahlen Saales mit den strengen Pfeilern und der düsteren Wölbung, die allegorische Grisaillen99 noch eisiger wirken ließen, in freundliches Licht; die Heizkörper entlang den Arkaden verströmten laue Wärme inmitten des kalten Luftzuges, der von den vergitterten Türen herrührte, die ständig aufgerissen und wieder zugeschlagen wurden.
Der Baissier Moser, noch unruhiger, noch gelber im Gesicht als sonst, stieß mit dem Haussier Pillerault zusammen, der sich anmaßend auf seinen langen Reiherbeinen hingepflanzt hatte.
»Wissen Sie schon, was man sich erzählt …«
Aber er mußte die Stimme heben, um sich verständlich zu machen in dem wachsenden Lärm der Gespräche, dessen gleichmäßiges, monotones Grollen an überflutende Wassermassen erinnerte, die endlos dahinfließen.
»Es heißt, wir werden Krieg haben im April …
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