Das Geld - 18
nie so richtig aus der Nähe gesehen … Victor ist sein ganzes Ebenbild.«
Busch schaute sie zuerst verständnislos an. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf, und er erstickte einen Fluch.
»Donnerwetter, so ist es! Ich wußte doch, daß ich das irgendwo gesehen hatte!«
Und diesmal erhob er sich, warf die Akten durcheinander und fand schließlich einen Brief, den ihm Saccard vor einem Jahr geschrieben hatte, um ihn zu bitten, einer zahlungsunfähigen Dame etwas Zeit zu lassen. Aufgeregt verglich er die Handschrift auf den Wechseln mit der dieses Briefes. Das waren wirklich die gleichen A und die gleichen O, nur noch spitzer geworden mit der Zeit, und auch bei den Großbuchstaben herrschte eine offensichtliche Übereinstimmung.
»Das ist er, das ist er«, wiederholte er. »Bloß, warum Sicardot, warum nicht Saccard?«
Aber da fiel ihm eine verworrene Geschichte ein, Saccards Vergangenheit, die ihm ein Makler namens Larsonneau, der heute Millionär war, erzählt hatte: wie Saccard am Tage nach dem Staatsstreich in Paris auftauchte, um die im Entstehen begriffene Macht seines Bruders Rougon auszubeuten, sein anfängliches Elend in den düsteren Straßen des alten Quartier Latin35 und dann sein rascher Aufstieg dank einer zwielichtigen Heirat, nachdem er das Glück gehabt hatte, seine Frau begraben zu können. Bei diesem schwierigen Anfang damals hatte er seinen Namen Rougon für Saccard eingetauscht, indem er einfach den Namen seiner ersten Frau, die Sicardot hieß, abwandelte.
»Ja, ja, Sicardot, ich erinnere mich genau«, murmelte Busch. »Er hat die Stirn besessen, die Wechsel mit dem Namen seiner Frau zu unterschreiben. Zweifellos hatten die beiden diesen Namen angegeben, als sie in der Rue de la Harpe abstiegen. Und dann traf der Kerl alle möglichen Vorsichtsmaßregeln und ist beim geringsten Anzeichen umgezogen … Er war also nicht nur hinter dem Geld her, er hat auch noch die Mädchen auf den Treppen umgelegt! Das war dumm, das wird ihm noch Scherereien machen!«
»Pst, pst!« versetzte die Méchain. »Wir haben ihn in der Hand, und man kann wohl sagen, daß es einen lieben Gott gibt. So werde ich nun endlich belohnt für alles, was ich für diesen armen kleinen Victor getan habe, den ich trotz allem sehr gern habe, obwohl er unverbesserlich ist.«
Sie strahlte, und ihre kleinen Augen funkelten in dem schmelzenden Fett ihres Gesichts.
Aber nach der Aufregung über diese lange gesuchte Lösung, die ihm der Zufall jetzt brachte, wurde Busch beim weiteren Überlegen wieder kühl und schüttelte den Kopf. Zweifellos schien ihm Saccard, obwohl er im Augenblick ruiniert war, noch gut zum Rupfen. Man hätte auch auf einen weniger vorteilhaften Vater stoßen können. Bloß würde Saccard sich nichts gefallen lassen, er konnte fürchterlich zubeißen. Und was dann? Er wußte bestimmt selbst nicht, daß er einen Sohn hatte, er konnte es trotz dieser außerordentlichen Ähnlichkeit, die die Méchain so verblüffte, leugnen. Außerdem war er ein zweites Mal Witwer und damit frei, er schuldete niemandem Rechenschaft über seine Vergangenheit; selbst wenn er den Kleinen anerkannte, war aus keiner Furcht und keiner Drohung gegen ihn Vorteil zu ziehen. Und aus seiner Vaterschaft nur die sechshundert Francs für die Wechsel zu schlagen war wirklich zu jämmerlich, da lohnte es nicht die Mühe, daß einem der Zufall so wunderbar zu Hilfe kam. Nein, nein! Er mußte nachdenken, mußte das hegen und pflegen, das Mittel finden, die Ernte in voller Reife einzubringen.
»Wir wollen nichts übereilen«, schloß Busch, »übrigens liegt er jetzt am Boden; lassen wir ihm die Zeit, wieder auf die Beine zu kommen.«
Und bevor er die Méchain verabschiedete, prüfte er mit ihr noch die kleinen Geschäfte, mit denen er sie beauftragt hatte: eine junge Frau, die ihren Schmuck für einen Geliebten verpfändet hatte, ein Schwiegersohn, dessen Schulden seine Schwiegermutter und gleichzeitige Geliebte bezahlen würde, wenn man es richtig anzupacken verstand, und schließlich die heikelsten Spielarten in der so verwickelten und schwierigen Beitreibung der Schuldforderungen.
Als Saccard das Nebenzimmer betrat, verharrte er einige Sekunden, geblendet von dem grellen Sonnenlicht, das durch das gardinenlose Fenster fiel. Das mit einer blaßblauen Blümchentapete ausgeschlagene Zimmer war ganz kahl: nur ein kleines eisernes Bettgestell stand in einer Ecke und in der Mitte ein Tisch aus Fichtenholz mit zwei Strohstühlen. An der linken
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