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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Zwischenwand dienten roh gehobelte Bretter als Bücherschrank, sie waren mit Büchern, Broschüren, Zeitungen und allen möglichen Papieren überladen. Aber in dieser Höhe breitete das helle Tageslicht eine Art jugendlicher Heiterkeit, unschuldigen frischen Lachens über die Kahlheit des Zimmers. Buschs Bruder Sigismond, ein bartloser junger Mann von fünfunddreißig Jahren mit langem, spärlichem kastanienbraunem Haar, saß am Tisch. Er stützte die breite gebuckelte Stirn in die magere Hand und war so in ein Manuskript vertieft, daß er nicht einmal den Kopf wandte, weil er nicht gehört hatte, wie die Tür aufging.
    Dieser Sigismond war ein kluger Kopf. Er hatte die deutschen Universitäten besucht und sprach außer Französisch, seiner Muttersprache, Deutsch, Englisch und Russisch. 1849 hatte er in Köln Karl Marx kennengelernt und war der beliebteste Redakteur an seiner »Neuen Rheinischen Zeitung«36 geworden; von diesem Augenblick an stand seine Religion fest, er verkündete voll glühenden Glaubens den Sozialismus, denn er hatte sich mit Leib und Seele der Idee einer nahe bevorstehenden sozialen Erneuerung verschrieben, die den Armen und Erniedrigten das Glück bringen sollte. Seitdem sein Meister, aus Deutschland verbannt und gezwungen, nach den Junitagen37 auch Paris zu verlassen, in London lebte, dort schrieb und sich bemühte, die Partei zu organisieren, vegetierte Sigismond, in seine Träume versponnen, dahin und kümmerte sich derart wenig um sein leibliches Wohlergehen, daß er sicher verhungert wäre, wenn nicht sein Bruder ihn in der Rue Feydeau nahe der Börse aufgenommen und auf den Gedanken gebracht hätte, seine Sprachkenntnisse zu nutzen und sich als Übersetzer niederzulassen. Dieser ältere Bruder vergötterte seinen jüngeren Bruder mit wahrhaft mütterlicher Leidenschaft; ein grausamer Wolf für die Schuldner und sehr wohl imstande, einem Menschen, der schon verblutete, noch zehn Sous zu stehlen, war er sogleich zu Tränen gerührt und besaß die leidenschaftliche, umsichtige zarte Fürsorge einer Frau, sobald es sich um diesen zerstreuten großen Jungen handelte, der ein Kind geblieben war. Er hatte ihm das schöne Zimmer zur Straße gegeben, er bediente ihn wie ein Kindermädchen, führte ihren absonderlichen Haushalt, kehrte aus, machte die Betten und kümmerte sich um das Essen, das zweimal am Tag aus einer kleinen Gastwirtschaft in der Nachbarschaft heraufgebracht wurde. Er, der immer beschäftigt war und den Kopf mit tausenderlei Geschäften voll hatte, duldete den Müßiggang seines Bruders, denn mit dem übersetzen ging es nicht voran, persönliche Arbeiten hinderten ihn daran; er verbot ihm sogar zu arbeiten, da er über ein böses Hüsteln beunruhigt war. Und trotz seiner hartherzigen Liebe zum Geld, seiner mörderischen Raffgier, die in der Eroberung des Geldes den einzigen Daseinszweck erblickte, lächelte er nachsichtig über die Theorien des Revolutionärs, überließ ihm das Kapital, wie man einem Bengel ein Spielzeug läßt, auch auf die Gefahr hin, sehen zu müssen, wie er es zerbricht.
    Sigismond seinerseits ahnte nicht einmal, was sein Bruder im Nebenzimmer trieb. Er wußte nichts von diesem schrecklichen Geschäft mit den entwerteten Papieren und dem Kauf von Schuldforderungen, er lebte in höheren Sphären, in einem alles beherrschenden Traum von Gerechtigkeit. Der Gedanke an Barmherzigkeit verletzte ihn, brachte ihn außer sich: Barmherzigkeit war das Almosen, die durch Güte geheiligte Ungleichheit, er aber ließ nur die Gerechtigkeit gelten, die zurückeroberten, in unverbrüchlichen Grundsätzen der neuen Gesellschaftsordnung verankerten Rechte eines jeden einzelnen. Im Gefolge von Karl Marx, mit dem er in ständigem Briefwechsel stand, verbrachte er seine Tage damit, diese Ordnung zu studieren, unaufhörlich die Gesellschaft von morgen auf dem Papier zu verändern und zu verbessern, riesige Bogen mit Zahlen zu bedecken und auf der Grundlage der Wissenschaft das komplizierte Gerüst für das universelle Glück aufzubauen. Er nahm den einen das Kapital weg, um es unter die anderen aufzuteilen, er bewegte die Milliarden hin und her, verschob mit einem Federstrich das Vermögen der Welt, und das in dieser kahlen Stube, ohne eine andere Leidenschaft als seinen Traum, ohne jegliches Bedürfnis nach Genuß; er lebte so bescheiden, daß sein Bruder erst böse werden mußte, damit er einen Schluck Wein trank und etwas Fleisch aß. Er, der sich bei der Arbeit umbrachte und

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