Das Geld - 18
Augenblick plötzlich an jenen Nachmittag erinnerte, als er mit Jantrou in der Rue Brongniart das Kupee der Baronin Sandorff hatte stehen sehen. Stand es auch an diesem Krisentag da? Wahrte der Kutscher hoch oben auf dem Bock unter dem Platzregen seine steinerne Reglosigkeit, während die Baronin hinter den geschlossenen Wagenfenstern auf die Kurse wartete?
»Gewiß ist sie da«, antwortete Jantrou leise, »und steht mit ganzem Herzen auf Ihrer Seite, fest entschlossen, nicht einen Fußbreit zurückzuweichen … Wir sind alle da, unerschütterlich auf unserem Posten.«
Saccard war glücklich über diese Treue, obwohl er an der Uneigennützigkeit der Dame und der anderen zweifelte. Übrigens glaubte er in der Verblendung seines Fiebers immer noch, auf die Eroberung loszumarschieren, sein ganzes Aktionärsvolk hinter sich, das Volk der kleinen Leute und der vornehmen Gesellschaft, begeistert und fanatisiert, hübsche Frauen und Dienerinnen im gleichen Glaubenseifer vereint.
Endlich ertönte der Glockenschlag und fuhr mit dem Wehklagen einer Sturmglocke über die wilde Brandung der Köpfe dahin. Und Mazaud, der Flory Anweisungen erteilte, kehrte rasch zur Corbeille zurück, während der junge Angestellte, in großer Sorge um sich selbst, zum Telegrafen stürzte; an das Schicksal der Universelle gekettet, hatte er seit einiger Zeit Verluste und wagte an diesem Tage einen entscheidenden Coup, und zwar auf die Geschichte von Daigremonts Eingreifen hin, die er im Maklerbüro hinter einer Tür aufgeschnappt hatte. Die Corbeille bangte ebenso wie der Saal; durch ernste Symptome alarmiert, spürten die Makler, wie seit der letzten Liquidation der Boden unter ihnen wankte. Schon war es teilweise zu Zusammenbrüchen gekommen, der geschwächte, überlastete Markt bekam überall Risse. Nahte etwa eine jener großen Katastrophen, wie sie sich alle zehn bis fünfzehn Jahre ereignen? Eine jener tödlichen Krisen des Börsenspiels, die bei hohem Fieber die Börse dezimieren und mit einem Sturmwind des Todes ausfegen? Am Markt der französischen Staatspapiere und bei den Kassageschäften schienen die Stimmen zu ersterben, das Gedränge nahm zu, die hohen schwarzen Silhouetten der Kursschreiber über der Menge warteten mit gezückter Feder. Mazaud, der mit den Händen die rote Samtbrüstung umklammerte, erblickte, auf der anderen Seite des kreisförmigen Beckens Jacoby, der mit seiner tiefen Stimme rief:
»Biete Universelle … Biete zu zweitausendachthundert Universelle …«
Das war der letzte Kurs der kleinen Börse vom Vorabend, und um die Baisse sofort abzufangen, hielt Mazaud es für klug, zu diesem Preis zu nehmen. Seine schrille Stimme übertönte alle anderen.
»Kaufe zu zweitausendachthundert … Dreihundert Stück Universelle, geben Sie her!«
Der erste Kurs war auf diese Weise festgesetzt. Aber es war Mazaud unmöglich, ihn zu halten. Von allen Seiten kamen die Angebote. Eine halbe Stunde kämpfte er verzweifelt und erreichte nicht mehr, als daß er den raschen Sturz verlangsamte. Er war überrascht, daß er nicht stärker von der Kulisse unterstützt wurde. Was machte bloß Nathansohn, von dem er Kaufauftrage erwartete? Erst später erfuhr er von der geschickten Taktik des letzteren, der für Saccard kaufte und auf eigene Rechnung verkaufte, weil sein jüdisches Gespür die wahre Situation gewittert hatte. Massias, der selber als Käufer stark engagiert war, lief atemlos herbei, um von dem Durcheinander in der Kulisse Mazaud zu berichten, der den Kopf verlor und seine letzten Patronen verschoß, indem er auf einen Schlag mit den Orders herausrückte, die er sich aufgespart hatte, um sie bis zum Eintreffen der Verstärkung zu staffeln. Das ließ die Kurse ein wenig anziehen: von zweitausendfünfhundert stiegen sie wieder auf zweitausendsechshundertfünfzig, in plötzlichen verrückten Sprüngen wie an den stürmischen Tagen. Und bei Mazaud, bei Saccard, bei allen, die in den Schlachtplan eingeweiht waren, stieg die Hoffnung vorübergehend noch einmal ins grenzenlose. Wenn die Kurse schon jetzt wieder stiegen, war der Tag gewonnen, der Sieg mußte für den Gegner vernichtend sein, sobald die Reserve die Baissiers in der Flanke angriff und ihre Niederlage in eine schreckliche wilde Flucht verwandelte. In einer Regung tiefer Freude hätten Sédille und Maugendre Saccard am liebsten die Hände geküßt, Kolb kam heran, während Jantrou im Laufschritt verschwand, um der Baronin Sandorff die gute Nachricht zu bringen. Und
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