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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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kleinen Tisch und schrieb Zahlen auf ein Blatt Papier.
    Er sprang auf und stieß einen Freudenschrei aus.
    »Sie! … Oh, Sie sind so gut und machen mich so glücklich!«
    Mit beiden Händen hatte er ihre Hand ergriffen, sie lächelte verwirrt und fand vor lauter Erregung nicht das Wort, das hätte gesagt werden müssen. Dann legte sie mit der freien Hand den kleinen Strauß für zwei Sous zwischen die mit Zahlen vollgeschmierten Blätter, die den ganzen Tisch bedeckten.
    »Sie sind ein Engel!« flüsterte er beseligt und küßte ihr die Finger.
    Da redete sie endlich.
    »Nein, es war wirklich vorbei, ich hatte Sie in meinem Herzen verdammt. Aber mein Bruder will, daß ich komme …«
    »Nein, nein, sagen Sie das nicht! Sagen Sie lieber, daß Sie zu klug und zu gütig sind und daß Sie verstanden haben und mir verzeihen …«
    Mit einer Gebärde unterbrach sie ihn.
    »Ich beschwöre Sie, verlangen Sie nicht zuviel von mir. Ich weiß selbst nicht … Genügt es Ihnen nicht, daß ich gekommen bin? Außerdem habe ich eine sehr traurige Nachricht für Sie.«
    Und in einem Zug erzählte sie ihm mit gedämpfter Stimme von Victors wildem Erwachen, von der frevelhaften Tat, die er an Mademoiselle de Beauvilliers begangen hatte, von seiner ungewöhnlichen, unerklärlichen Flucht, von der Nutzlosigkeit aller bisherigen Nachforschungen, von der geringen Hoffnung, die man hegte, ihn wieder aufzugreifen. Er hörte ihr betroffen zu, ohne eine Frage, ohne eine Gebärde; und als sie schwieg, quollen ihm zwei dicke Tränen aus den Augen und liefen ihm über die Wangen, während er stammelte:
    »Das arme Kind … das arme Kind …«
    Nie hatte sie ihn weinen sehen. Und sie war tief bewegt und bestürzt, so seltsam, grau und schwer waren diese Tränen Saccards, die von weit her kamen, aus einem verhärteten Herzen, das in den langen Jahren des Banditentums verschlackt war. Er brach auch gleich in laute Verzweiflung aus.
    »Wie entsetzlich, ich habe den Bengel nicht einmal umarmt … Denn Sie wissen ja, ich bin nicht bei ihm gewesen. Mein Gott, ich hatte mir so fest vorgenommen, ihn zu besuchen! Aber ich habe keine Zeit gehabt, nicht eine freie Stunde bei diesen verfluchten Geschäften, die mich auffressen … Ach, es ist immer dasselbe: was man nicht gleich erledigt, tut man nie … Und jetzt sind Sie sicher, daß ich ihn nicht sehen kann? Man könnte ihn mir ja hierherbringen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wer weiß, wo er jetzt ist in diesem schrecklichen Dickicht von Paris!«
    Erregt ging er noch eine Weile auf und ab und sagte nur hin und wieder einen Satz.
    »Da hatte man endlich dieses Kind von mir wiedergefunden, und nun habe ich es verloren … Nie werde ich es zu Gesicht bekommen … Aber das ist bloß, weil ich kein Glück habe, überhaupt kein Glück … Oh, mein Gott! Das ist dieselbe Geschichte wie mit der Banque Universelle.«
    Er hatte sich wieder an den Tisch gesetzt, und Frau Caroline nahm auf einem Stuhl ihm gegenüber Platz. Schon wühlte er mit den Händen in den Papieren, eine ganze umfangreiche Akte, die er seit Monaten vorbereitete, und war bei der Geschichte des Prozesses, legte seine Beweisgründe zur Verteidigung dar, als verspürte er das Bedürfnis, sich vor Frau Caroline zu rechtfertigen. Die Anklage warf ihm vor, er habe das Stammkapital fortwährend erhöht, um die Kurse fieberhaft in die Höhe schnellen zu lassen und glauben zu machen, die Gesellschaft sei im vollen Besitz ihrer Kapitalwerte; er habe die Zeichnung von Aktien sowie nicht erfolgte Einzahlungen vorgetäuscht mittels der Konten, die man für Sabatani und andere Strohmänner, die nur durch fingierte Buchungen zahlten, eröffnet hatte; die Gesellschaft habe in Form der vollen Bezahlung alter Aktien Scheindividenden ausgeschüttet; und schließlich habe sie ihre eigenen Aktien angekauft und durch ihre zügellose Spekulation jene ungewöhnliche, künstliche Hausse erzeugt, an der die Banque Universelle, als sie kein Geld mehr hatte, zugrunde gegangen ist. Hierauf antwortete Saccard mit wortreichen, leidenschaftlichen Beteuerungen. Er habe getan, was jeder Bankdirektor tut, nur habe er es im Großen getan, mit dem Format eines starken Mannes. Die Chefs der solidesten Firmen von Paris müßten ebenfalls in seiner Zelle sitzen, wenn man sich ein wenig der Logik befleißigt hätte. Man stempelte ihn zum Sündenbock für die Ungesetzlichkeiten aller anderen. Und wie merkwürdig beurteilte man die Verantwortlichkeiten! Warum wurden nicht auch die

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