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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wollte sie ihn hindern fortzufahren. Aber er war aufgestanden, er reckte sich auf seinen kurzen Beinen in die Höhe und rief mit seiner schrillen Stimme:
    »Die Berechnungen sind fertig, die Zahlen stehen da, schauen Sie! Alles bloß Spielereien, der Karmel und die Türkische Nationalbank! Wir brauchen das große Netz der Orient-Eisenbahnen, wir brauchen den ganzen Rest, Jerusalem, Bagdad, ganz Kleinasien: alles, was Napoleon mit seinem Säbel nicht erobern konnte, werden wir mit unseren Spitzhacken und unserem Gold erobern … Wie haben Sie glauben können, daß ich das Spiel aufgeben würde? Napoleon ist auch von der Insel Elba zurückgekehrt108. Wenn ich mich nur zeige, wird das ganze Geld von Paris sich erheben, um mir zu folgen; und diesmal gibt es kein Waterloo, dafür bürge ich, weil mein Plan von mathematischer Genauigkeit ist, vorausberechnet bis auf den letzten Centime … Endlich werden wir diesen verfluchten Gundermann zu Boden werfen! Ich brauche nur vierhundert, vielleicht fünfhundert Millionen, und die Welt gehört mir!«
    Es war ihr gelungen, seine Hände zu fassen, und sie drängte sich an ihn.
    »Um Himmels willen! Seien Sie still, Sie machen mir angst!«
    Und gegen ihren Willen mischte sich Bewunderung in ihr Erschrecken. Plötzlich spürte sie in dieser elenden, kahlen, verriegelten und von den Lebenden geschiedenen Zelle eine überschäumende Kraft, ein Aufblitzen des Lebens: die ewige Illusion der Hoffnung, die Zähigkeit eines Menschen, der nicht sterben will. Sie suchte den Zorn in sich, mit dem sie die begangenen Fehler verflucht hatte, und fand ihn schon nicht mehr. Hatte sie Saccard nicht verdammt, nachdem er nicht wiedergutzumachendes Unglück verschuldet hatte? Hatte sie ihn nicht der Züchtigung überantwortet, dem Tod in Einsamkeit und Verachtung? Geblieben waren von alledem nur der Haß auf das Böse und ihr Mitleid mit dem Schmerz. Erneut erlag sie ihr, dieser unbekümmerten, vorwärtsdrängenden Kraft, wie einer unausweichlichen Naturgewalt. Und ob es auch nur weibliche Schwäche war, sie überließ sich ihr mit Wonne, ganz leidende Mütterlichkeit, ganz grenzenloses Verlangen nach Zärtlichkeit, das sie getrieben hatte, ihn zu lieben, ohne ihn mit ihrem hohen, durch die Erfahrung schwer geprüften Verstand achten zu können.
    »Das ist vorbei«, wiederholte sie mehrmals, ohne seine Hände loszulassen. »Können Sie sich denn nicht bezähmen und endlich in Ruhe leben!«
    Als er sich reckte, um mit den Lippen ihr weißes Haar zu streifen, dessen Locken mit jugendlich lebendiger Fülle ihre Schläfen bedeckten, hielt sie ihn zurück und fügte, jedes Wort betonend, mit fester Entschlossenheit und tiefer Trauer hinzu:
    »Nein, nein! Das ist vorbei, vorbei für immer … Ich bin froh, Sie noch ein letztes Mal gesehen zu haben, damit kein Groll zwischen uns bleibt … Leben Sie wohl!«
    Als sie ging, sah sie ihn am Tisch stehen. Er war wirklich erschüttert durch die Trennung, ordnete aber bereits wieder mit instinktiver Hand die Papiere, die er in seiner fieberhaften Erregung durcheinandergebracht hatte; und weil der kleine Strauß für zwei Sous zwischen den Papierseiten welk geworden war und ausfiel, nahm Saccard einen Bogen nach dem anderen auf und fegte mit den Fingern die Rosenblätter hinweg.
    Erst drei Monate später, gegen Mitte Dezember, kam der Fall der Banque Universelle endlich vor Gericht. Unter lebhaftem Andrang des neugierigen Publikums fanden fünf lange Verhandlungen vor der Strafkammer statt. Die Presse hatte ungeheuer viel Staub um die Katastrophe aufgewirbelt, merkwürdige Geschichten über die Saumseligkeit des Ermittlungsverfahrens waren im Umlauf. Große Beachtung fand die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, ein Meisterwerk an grausamer Logik, in der selbst die geringsten Einzelheiten aufgeführt, verwertet und mit unerbittlicher Klarheit ausgedeutet waren. Im übrigen hieß es überall, das Urteil sei schon im voraus gefällt. Und in der Tat, die offensichtliche Gutgläubigkeit, in der Hamelin gehandelt hatte, die heldenhafte Haltung von Saccard, der fünf Tage lang der Anklagevertretung die Stirn bot, und die großartig tönenden Plädoyers der Verteidigung konnten nicht verhindern, daß die Richter die beiden Angeklagten zu fünf Jahren Gefängnis und dreitausend Francs Geldstrafe verurteilten. Allein da sie einen Monat vor dem Prozeß gegen Kaution einstweilen wieder freigelassen worden waren und sich dem Gericht als Angeklagte auf freiem Fuß gestellt

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