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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schloß und in kleinen Schlücken seine Schale leerte, die Lippen ganz weiß von der Milch.
    Saccard warf sich in seine Droschke und gab als Ziel die Rue Saint-Lazare an. Es schlug ein Uhr, der Tag war verloren, er kehrte außer sich zum Mittagessen heim. Ach, dieser verfluchte Gundermann! Nein, den hätte er wirklich am liebsten zermalmt, so wie ein Hund einen Knochen zerbeißt! Freilich, um ihn zu schlucken, dafür war dieser schreckliche Bissen zu groß. Aber konnte man es denn wissen? Die größten Reiche waren schon zusammengebrochen, einmal schlägt immer die Stunde, da auch die Mächtigen stürzen. Doch nein, nicht schlucken, anbeißen wollte er ihn zunächst, Fetzen seiner Milliarde ihm entreißen; und dann erst würde er ihn schlucken, ja! Warum nicht! Vernichten wollte er sie in ihrem unbestrittenen König, diese Juden, die sich für die Herren des Festschmauses hielten! Und diese Überlegungen, dieser Zorn, den Saccard von Gundermann mitbrachte, erweckten in ihm einen wütenden Eifer, ein Verlangen, Geschäfte zu machen und sofort Erfolg zu haben: mit einer Handbewegung hätte er sein Bankhaus errichten mögen, damit es anlief, triumphierte und die Konkurrenzunternehmen zermalmte. Plötzlich fiel ihm Daigremont wieder ein, und ohne zu überlegen, einer unwiderstehlichen Regung gehorchend, beugte er sich hinaus und schrie dem Kutscher zu, in die Rue Larochefoucauld zu fahren. Wenn er Daigremont antreffen wollte, mußte er sich beeilen und das Mittagessen auf später verschieben, denn er wußte, daß Daigremont gegen ein Uhr ausging. Kein Zweifel, dieser Christ da war schlimmer als zwei Juden, und er galt als mörderischer Werwolf für die jungen Unternehmen, die man seiner Obhut anvertraute. Aber in diesem Augenblick hätte Saccard um seiner Eroberungspläne willen auch mit einem Räuber wie Cartouche61 verhandelt, sogar unter der Bedingung zu teilen. Später würde man sehen, daß er der Stärkere war.
    Indessen hielt die Droschke, die sich mühsam die starke Steigung der Straße hochgequält hatte, vor dem monumentalen hohen Tor eines der letzten Palais in diesem Stadtviertel, wo einst sehr schöne Häuser gestanden hatten. Das Hauptgebäude, vor dem ein weiter gepflasterter Hof lag, war von königlicher Pracht; der Garten dahinter mit seinen hundertjährigen Bäumen bildete einen richtigen Park, abseits der belebten Straßen gelegen. Ganz Paris kannte dieses Palais und seine glänzenden Feste, vor allem aber die wunderbare Gemäldesammlung, die kein durchreisender Großherzog zu besichtigen versäumte. Mit einer Frau verheiratet, deren Schönheit berühmt war wie die seiner Bilder und die als Sängerin in der Gesellschaft glänzende Erfolge errang, führte der Herr des Hauses ein fürstliches Leben, war ebenso stolz auf seinen Rennstall wie auf seine Galerie, gehörte einem der großen Klubs an, prahlte mit den teuersten Frauen, hatte eine Loge in der Oper, war Stammgast im Hôtel Drouot62 und Gast auch in den anrüchigen Häusern, die gerade Mode waren. Und dieser ganze großspurige Lebenswandel, diese Pracht, die in einer Apotheose von Laune und Kunst erstrahlte, wurde einzig durch die Spekulation bezahlt, ein Vermögen, das unaufhörlich in Bewegung war, das unendlich schien wie das Meer, aber ebenso Ebbe und Flut aufwies, Differenzen von zwei- oder dreihunderttausend Francs bei jeder Liquidation am Medio oder Ultimo63.
    Als Saccard die majestätische Freitreppe hinaufgestiegen und gemeldet worden war, führte ihn ein Diener durch drei mit einer Fülle von Kostbarkeiten ausgestattete Salons bis zu einem kleinen Rauchsalon, in dem Daigremont für gewöhnlich seine Zigarre zu Ende rauchte, bevor er ausging. Er war schon fünfundvierzig Jahre alt und kämpfte dagegen an, dick zu werden; er war groß, sehr elegant, hatte eine gepflegte Frisur und trug als fanatischer Anhänger der Tuilerien nur Schnurrbart und Kinnbart. Er gab sich sehr liebenswürdig und war unerhört selbstsicher und siegesgewiß.
    Er stürzte sich förmlich auf Saccard.
    »Ach, mein lieber Freund, wie geht es Ihnen? Erst neulich dachte ich an Sie … Sind wir nicht überhaupt Nachbarn?«
    Doch er wurde bald ruhig und sparte sich diese unnützen Worte, mit denen er für gewöhnlich seine Besucher empfing, denn Saccard, der die Finessen einleitender Floskeln für überflüssig hielt, kam sofort auf den Zweck seines Besuches zu sprechen. Er redete von seinem großen Geschäft und erklärte, daß er die Banque Universelle mit einem

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