Das Geld - 18
ging er weg und stieg in seine Droschke, die schon wieder über die Pont de la Concorde fuhr, als er sich an Daigremonts Wunsch erinnerte.
»Kutscher, Rue de Babylone.«
In der Rue de Babylone wohnte der Marquis de Bohain. Er lebte in den ehemaligen Nebengebäuden eines großen Palais, in einem Gartenhaus, in dem früher das Stallpersonal untergebracht war und das man zu einem modernen, sehr komfortablen Haus umgebaut hatte. Die Einrichtung war luxuriös und betont aristokratisch. Übrigens sah man nie seine Frau, die leidend war, wie er sagte, durch Krankheit an ihr Zimmer gefesselt. Indes das Haus und die Möbel gehörten ihr, er wohnte als möblierter Herr bei ihr und besaß nur seine Sachen, die er mit einem Koffer in einer Droschke hätte wegschaffen können; die Gütertrennung bestand, seitdem er vom Börsenspiel lebte. Schon bei zwei Katastrophen hatte er sich rundweg geweigert, seine Differenzen zu bezahlen, und der Konkursverwalter hatte sich nach Einblick in die Sachlage nicht einmal die Mühe gemacht, ihm Stempelpapier zu schicken. Schwamm drüber und fertig! Er steckte ein, solange er gewann. Und sobald er verlor, bezahlte er nicht: man wußte es und fügte sich drein. Er trug einen erlauchten Namen und machte sich deshalb außerordentlich gut in den Verwaltungsräten; daher rissen sich die neu gegründeten Gesellschaften um ihn, wenn sie nach vergoldeten Aushängeschildern Ausschau hielten: er war nie arbeitslos. In der Börse hatte er seinen Stammplatz auf der Seite zur Rue Notre-Dame-des-Victoires, wo die reichen Spekulanten saßen, die vorgaben, sich für die kleinen Gerüchte vom Tage nicht zu interessieren. Man respektierte ihn, man fragte ihn vielfach um Rat. Oft hatte er den Markt beeinflußt. Mit einem Wort, er war eine Persönlichkeit.
Saccard, der ihn schon kannte, war trotzdem beeindruckt von dem äußerst höflichen Empfang dieses gutaussehenden Mannes von sechzig Jahren: ein sehr kleiner Kopf auf dem Körper eines Riesen, das bleiche Antlitz von einer braunen Perücke umrahmt, größte Vornehmheit.
»Herr Marquis, ich komme als wirklicher Bittsteller …«
Er erläuterte den Grund seines Besuchs, ohne zunächst auf Einzelheiten einzugehen. Außerdem unterbrach ihn der Marquis schon bei den ersten Worten.
»Nein, nein, meine ganze Zeit ist in Anspruch genommen, ich habe in diesem Augenblick zehn Angebote, die ich ausschlagen muß.«
Als jedoch Saccard lächelnd hinzufügte: »Daigremont schickt mich, er hat an Sie gedacht«, rief er sofort: »Ach, Sie haben Daigremont gewonnen … Gut! Gut! Wenn Daigremont mitmacht, bin ich auch dabei. Zählen Sie auf mich!«
Und als ihm dann der Besucher wenigstens einige Auskünfte geben wollte, um ihn wissen zu lassen, an welcher Art von Geschäft er sich beteiligen sollte, schloß er ihm den Mund mit der liebenswürdigen Unbekümmertheit eines Grandseigneurs, der sich nicht zu solchen Einzelheiten herabläßt und der ein natürliches Vertrauen in die Rechtschaffenheit der Leute setzt.
»Ich bitte Sie, sprechen Sie nicht weiter … Ich will nichts wissen. Sie brauchen meinen Namen, den leihe ich Ihnen, und ich bin sehr froh darüber, das ist alles … Sagen Sie Daigremont nur, daß er alles so machen soll, wie er es für richtig hält.«
Als Saccard gutgelaunt wieder in seine Droschke stieg, mußte er innerlich lachen.
Der wird uns teuer zu stehen kommen, dachte er, aber er ist wirklich ganz hervorragend.
Dann sagte er laut:
»Kutscher, Rue des Jeûneurs.«
Sédilles Firma hatte dort ihre Lager und ihre Büros, die in einem Quergebäude ein ganzes weitläufiges Erdgeschoß einnahmen. Nach dreißig Jahren Arbeit hatte Sédille, der aus Lyon stammte und dort noch seine Werkstätten hatte, es endlich geschafft, seinen Seidenhandel zu einem der bekanntesten und solidesten in Paris zu machen, als er infolge eines Zufalls der Spekulationsleidenschaft verfiel, die sich in ihm mit der zerstörenden Gewalt einer Feuersbrunst ausbreitete. Zwei beträchtliche Gewinne kurz hintereinander hatten ihn verrückt gemacht. Wozu dreißig Jahre seines Lebens dransetzen, um eine armselige Million zu verdienen, wenn man sie in einer einzigen Stunde durch eine einfache Börsenoperation einsacken kann? Seitdem hatte er nach und nach das Interesse an seiner Firma verloren, die gleichsam im Selbstlauf weiterlief; er lebte nur noch in der Hoffnung auf einen siegreichen Börsencoup, und als er dann andauernd Pech hatte, steckte er alle Gewinne seines Geschäftes
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