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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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das, was er ihr sagte.
    So ließ er alle seine Pläne für diesen Tag fallen, und in weniger als zwei Stunden nach seiner Reismahlzeit befanden sie sich beide unter dem Himmel.
    Das kleine Flugzeug hob und senkte sich, fiel in ein Luftloch und arbeitete sich wieder hinaus, und unter ihnen stiegen die Wolken in die Höhe. Sie fühlte ein süßes Wohlbehagen, als sie daran dachte, daß Sheng nicht wußte, wo sie jetzt war, ja, daß er es sich nicht einmal träumen ließe. Wann sah sie ihn wieder, wo würden sie sich begegnen, und wenn sie ihn wieder traf, wie würden dann die ersten Worte lauten?
    Sie lächelte vor sich hin. Der General, der gerade den Kopf nach ihr wandte, bemerkte das Lächeln. »Ich komme mir vor wie ein Drache«, rief er ihr zu, »ein Drache, der auf Wolken reitet!«
    Sie lachte, und der Wind, der durch ein Loch in der Verschalung hereinstürmte, riß das Lachen von ihren Lippen.

5
    Die Allerhöchsten waren für Mayli keine Fremden. Oft hatte sie ihren Vater von ihnen reden hören. Die hohe Dame war einst eine Freundin ihrer Mutter gewesen, und der Allerhöchste selber war mit ihrem Vater befreundet, und überdies war er derjenige, von dem ihr Vater Befehle entgegennahm.
    Deshalb bereitete sich Mayli nicht nur in Aussehen und Kleidung auf die Begegnung vor, sondern sie überlegte auch, was sie sagen wollte. Die Zulassung war ganz leicht zu erreichen. Mayli schickte eine Karte und erhielt eine Karte zurück. Die hohe Dame hatte sie selber auf englisch geschrieben; es stand darauf: »Wir erwarten Sie morgen zum Frühstück.«
    So zog Mayli, die nach dem Tagesritt unter dem Himmel in ihrem Hotel ausgezeichnet geschlafen hatte, am nächsten Morgen ihr apfelgrünes Lieblingskleid an und fesselte ihre langen, schwarzen Haare in dem weichen Knoten. Sie legte Rot auf die Lippen und ein wenig Schwarz auf die Brauen; zum Schluß schmückte sie sich mit einfachen goldenen Ohrringen. Dann verließ sie das Hotel und bestieg eine Rikscha, die vor der Tür wartete.
    »Zum Haus des Präsidenten«, befahl sie, denn der Allerhöchste wurde gemeinhin ›der Präsident‹ genannt, und alle kannten ihn unter diesem Namen.
    Ohne jegliche Verwunderung sagte der Rikscha-Mann: »Bis zur Fähre kostet die Fahrt einen halben Silberdollar.« Als Mayli nickte, zog er den Leinwandgürtel um seine Leibesmitte straffer und schlug den gleichmäßigen Laufschritt ein, an den seine braunen Beine gewöhnt waren.
    Die Straßen, die zum Flusse führten, waren Trümmerreihen; kaum ein ganzes Haus konnte man sehen, so verheerend hatten die sommerlichen Bombardements in Tschungking gewütet, aber niemand schien es zu gewahren. Tatsächlich dauerte der Krieg schon so lange, daß es jetzt Kinder gab, die bereits sprechen und laufen und ihren Eltern sogar ein wenig zur Hand gehen konnten, die noch nie ein unversehrtes Dach über dem Kopf erblickt hatten; für sie bedeuteten die Bombardements nichts anderes als Gewitter und Wirbelstürme: etwas durchaus Natürliches. Auf diesen Straßen gingen die Leute ihren Geschäften nach, kauften und verkauften; an einigen Orten wurden die Häuser instand gesetzt, während drinnen das Geschäft weitergeführt wurde. Kinder rannten umher und spielten und fielen vor den Füßen der Träger und Rikscha-Läufer hin, so daß sogar zu dieser frühen Stunde die Luft erfüllt war von gutmütigem Schimpfen, Gelächter und Rufen der Menschen, die ihrem Alltagsdasein nachgingen. Allenthalben gab es Lebendigkeit, kein Zeichen von Furcht oder Trauer, und Mayli ertappte sich dabei, daß sie lächelte – aus reiner Befriedigung, weil sie ebenfalls lebte und auf dem Weg war, mit den Allerhöchsten zu frühstücken. Und wie sie es immer gern tat, wenn sie sich lebensvoll fühlte, begann sie mit der nächsten Person eine Unterhaltung, und das war der Rikscha-Zieher.
    »Gehört Ihr zu jenen, die zugereist sind?« erkundigte sich der Mann höflich. Mayli wußte, daß man diese Frage hier zu stellen pflegte, wenn man in Erfahrung bringen wollte, ob jemand Bürger der Stadt sei oder nicht, und so antwortete sie: »Ich komme tatsächlich von weit her.«
    Wie alle seinesgleichen war der Mann zum Sprechen geneigt, und willig erzählte er ihr, daß die Zeiten für Männer seines Gewerbes gut waren. »Heutzutage ziehe ich lieber eine Rikscha, als daß ich mich mit Büchern befassen möchte«, sagte er lachend. »Wahrhaftig, auch den Gelehrten geht es so. Oh, ich kenne einen gelehrten Mann, der sogar von ausländischen Schulen

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