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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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flößte ihr auch Blanca nur ein geringschätziges Mitleid ein. Wie dumm von der, daß sie einen Mann geheiratet hatte, der nur an sein Vergnügen dachte.
    Sie war gescheiter; sie nahm einen Großindustriellen, denn solch ein Mann arbeitet für seine Frau und füllte beständig die gemeinschaftliche Kasse, aus der sie nach Belieben schöpfen konnte. Frau Tellier verrechnete sich auch nicht; ihr Mann ließ sie gewähren, und das Geld zum Fenster hinauswerfen, während er als strebsamer Emporkömmling den gemeinschaftlichen Reichtum stetig vermehrte und für sich nichts ausgab. Frau Tellier dachte, wenn sie gut aufgeräumt war, in ihrem Innersten, daß sie es ebenso schlau gemacht habe, wie ihr Bruder: sie fuhr in ihrer Ehe besser, als ihr Mann.
    Freilich, ganz ohne Sorge ging es auch bei ihr nicht ab. Ihr Mann legte sich allmählich auf die Politik, wollte sich um einen Sitz im Abgeordnetenhause bewerben. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn er ausschließlich ans Geschäft und ans Geldverdienen gedacht hätte. Was sie betraf, so schwang sie sich zur Modekönigin empor und dieser Titel kostete ihr ein schweres Geld. Sie war berühmt wegen ihrer Extravaganz, denn die lächerlichsten Ausgeburten der Modephantasie fanden an ihr eine mächtige Gönnerin, und sie verstand es auch, sie bei den Lebedamen der feinsten Kreise in Aufnahme zu bringen.
    Bezeichnend für ihren Geschmack war der grimmige Haß, den sie gegen Julia und die Halbwelt überhaupt hegte; denn diese mußte sie sich oft notgedrungen zum Vorbild nehmen. Sie half sich aber, indem sie ihre Originale überbot, so daß sie ihnen zuvorkam und ihnen den Ton anzugeben schien. So erklomm sie den Gipfel der Modetorheit und machte alle Pariser Frauen so verdreht, wie sie selber war.
    Eines Tages wurde sie bei einem Wettrennen insultirt, weil man sie für eine öffentliche Dirne hielt. Sie weinte, stellte ihre Beleidiger zur Rede, nannte ihren Namen, verlangte, daß sie Abbitte leisteten; war aber innerlich hoch entzückt über den Irrtum.
    Daniel also hatte erraten, weß Geistes Kind die Dame war und stand nun vor der Kammerfrau, die er nicht die Courage hatte, anzureden. Diese aber war ein gutmütiges Frauenzimmer und als er sie lächeln sah, faßte er sich ein Herz und fragte:
    »Verzeihung, ist Fräulein Jeanne von Rionne zu Hause?«
    »Bewahre!« antwortete sie. »Die Kleine hing der gnädigen Frau immer an der Schürze und dazu sind gnädige Frau viel zu nervös, als daß sie immer ein Kind um sich haben könnten.«
    »Wo ist sie denn jetzt?«
    »Im Kloster. Seit vierzehn Tagen.«
    Daniel war eine Weile sprachlos vor Schreck. Dann fuhr er fort:
    »Wird sie lange im Kloster bleiben? Wann kommt sie zurück?«
    »Das weiß ich ja nicht,« antwortete die Kammerfrau, der die Geduld auszugehen begann. »Ich denke mir, die gnädige Frau werden sie eine gute zehn Jahre da lassen.«
     

 
VI.
    Zwölf Jahre vergingen.
    Während dieses langen Zeitraums floß Daniel das Leben ereignislos dahin. Die Tage folgten einander, ruhig und gleichförmig, und gedachte er der Vergangenheit, so kamen ihm die Jahre wie Monate vor. Er vertiefte sich in sich selbst, ließ Niemand in sein Innerstes blicken und gefiel sich einzig und allein in dem Gedanken, der sein ganzes Leben bestimmte. In allen seinen Handlungen und womit sein Geist sich auch beschäftigte, immer bezog er alles auf Jeanne. Die Hochherzigkeit dieser fixen Idee erhob ihn in eine höhere Sphäre, über die Gemeinheit und Erbärmlichkeit des Erdendaseins hinaus. Zu jeder Stunde fand er eine moralische Stütze an dem blonden, kleinen Mädchen, das in seiner Vorstellung ein engelhaft lächelndes Kind geblieben war.
    Dieser Ernst der Gesinnung prägte sich auch in den Gesichtszügen, in dem ganzen Wesen des jungen Mannes aus. Er glich einem Priester, der überall Gott mit sich trägt. Redete ihn Jemand unvermutet an, so schien er gleichsam mit seinen Gedanken aus einer höheren Region herunterzusteigen; er mußte sich Gewalt anthun, um sein Denken der irdischen Wirklichkeit anzupassen.
    Seine Ungelenkigkeit, seine Aengstlichkeit hatte er abgelegt; er war jetzt ein Mann von sanftem Gebaren und etwas geneigter Haltung, dessen Häßlichkeit die Anmut seines Lächeln vergessen ließ. Die Frauen indeß waren ihm nicht hold, weil er sie nicht zu unterhalten verstand; in ihrer Gesellschaft kam seine alte Blödigkeit wieder zum Vorschein. Er arbeitete acht Jahre lang an dem encyklopädischen Wörterbuch. Die Beschäftigung, die seiner

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