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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Geschichten, um seine Neugierde gut zu motiviren und Fräulein Jeanne von Rionnes Namen möglichst ungezwungen in das Gespräch einzuschmuggeln. Und wie klopfte ihm das Herz, während er auf die Antwort wartete! Sagte man dann: »Es geht ihr gut; sie ist groß und hübsch geworden,« so war er versucht sich bei den Leuten zu bedanken, als wenn sie ein Kind von ihm gelobt hätten.
    Wenn er nach einem solchen guten Bescheide von dannen ging, so herrschte himmelhohe Freude in seinem Herzen. Er glich dann eher einem Betrunkenen als einem vernünftigen Menschen. Er rannte die Vorübergehenden an und mußte sich Gewalt anthun, um nicht laut zu singen. Es duldete ihn dann auch nicht mehr in der Stadt, er mußte sich austoben, und wanderte aufs freie Feld hinaus, aß in einer Herberge zu Mittag und kehrte spät am Abend, mit Staub oder Kot bedeckt und halb tot vor Müdigkeit, nach Hause zurück.
    Georg war diese Expeditionen gewöhnt. Er hatte ihn nur die ersten Male damit aufgezogen oder ihn deswegen beinah gescholten. Als der Bummler aber sich in ein scheues Schweigen hüllte, lächelte er bloß noch, wenn Daniel des Sonntags wieder ausging und dachte:
    »Der hat jetzt was Liebes!«
    Eines Tages ließ ihm aber die Neugierde doch keine Ruhe und als Daniel atemlos und mit strahlendem Gesicht nach Hause kam, ergriff er seine beiden Hände und fragte:
    »Sag’ mal, ist sie hübsch?«
    Daniel gab keine Antwort, sah ihn aber so erstaunt und so vorwurfsvoll an, daß er sich bewußt wurde eine Dummheit begangen zu haben, und seit jenem Tage respektirte Georg gewissenhaft das Geheimnis seines Freundes. Ja, er liebte Daniel mehr denn je, ohne zu wissen warum, wenn dieser nach einem solchen sonntäglichen Ausfluge wieder zurückkam. In dieser Weise also lebten sie vertraulich zusammen ohne einen Dritten zwischen sich zu dulden. Anfangs zwar besuchte sie bisweilen ein junger Mann aus der Nachbarschaft, Namens Lorin, ein großer Streber, dem sie nicht gut die Thür weisen konnten. Aber sein galliges Gesicht und seine unsteten Augen mißfielen ihnen und kamen ihnen unheimlich vor. Dieser Lorin war ein geborener Ränkeschmied, der nur auf eine gute Gelegenheit wartete, dem Glück Gewalt anzuthun. Er pflegte zu sagen, die gerade Linie sei im Leben der längste Weg. Einen Beruf zu wählen, z. B. die Medizin oder die Rechtswissenschaft, hielt er für eine große Dummheit; die Aerzte und Rechtsanwälte, meinte er, müßten sich erbärmlich schinden, ehe sie es bei ihrem mäßigen Verdienst zu einem bescheidnen Wohlstand brächten. Er wollte schneller emporkommen und versicherte, er sei der Mann dazu, einen Hauptcoup zu machen, der ihm mit einem Male etwas ordentliches in den Schoß werfen würde.
    Er hatte nicht blos geprahlt, der ersehnte Reichtum fiel ihm zu. Wie, bekam die Welt nie zu erfahren; er behauptete immer, er hätte an der Börse spekulirt. Mit dem so oder so erworbnen Gelde ließ er sich in industrielle Unternehmungen ein und wurde binnen wenigen Jahren, da ihm auch der Zufall wohl wollte, kolossal reich.
    Daniel und Georg, die heikle Geschichten über ihn zu erfahren bekamen, waren froh, daß er sie nicht mehr mit seinen Besuchen behelligte, seitdem es ihm gut ging. Er wohnte jetzt in der vornehmen Rue Taitbout und erinnerte sich ungern der bescheidnen Impasse Saint Dominique d’Enfer.
    Eines Abends jedoch kam er zu ihnen, um vor ihnen groß zu thun, mit seinem Glück zu prahlen. Er war allerdings wenigstens physisch sehr zu seinem Vorteil verändert. Der Reichtum hatte seinem Blick, seinem Auftreten Sicherheit verliehen und sein Gesicht sah nicht mehr so gelb aus, wie früher.
    Die beiden Freunde empfingen ihn aber sehr kühl, so daß er nicht wiederkam.
    Daniel und Georg genügten sich gegenseitig so vollkommen, daß sie keines andern Umgangs bedurften, und ihre Seelen verwuchsen so innig miteinander, daß in keinem je der Gedanke an die Möglichkeit einer Trennung aufkam.
     

 
VII.
    Eines Morgens begab sich Daniel wieder nach der Rue d’Amsterdam und als er am Abend heimkam, erklärte er seinem Freunde, am nächsten Tage müsse er ihn verlassen, vielleicht für immer.
    Er hatte an jenem Tage erfahren, daß Jeanne aus dem Kloster definitiv zurückgekehrt sei und bei ihrer Tante wohnte. Seitdem war er außer Rand und Band, denn natürlich schwärmte er nur noch für den Gedanken, daß er in dem Hause seines Abgotts Wohnung nehmen müsse. Er sann nach, klügelte einen feinen Plan aus und ging sofort an die Ausführung. Er

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