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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Widerwärtigkeit, die ihn aber noch mehr verstimmte. Ein Regenschauer nötigte ihn unterzutreten; nachher mußte er seinen Weg durch schmutzige Straßen fortsetzen und als er dann die luxuriöse Treppe des Hauses, in dem Herr von Rionne wohnte, emporstieg, bemerkte er zu seinem Schrecken, daß er gräßlich mit Kot bespritzt war.
    Die Thür wurde von Louis aufgemacht. Dieser bezeigte nicht das geringste Erstaunen und benahm sich vollständig, als ob er den jungen Mann nicht wieder erkenne. Aber um die Mundwinkel spielte wieder das gewöhnliche, kaum bemerkbare Lächeln.
    Er erteilte Daniel in höflicher Weise den Bescheid, der Herr sei nicht da, werde aber bald nach Hause kommen, und führte ihn dann in einen prachtvollen Salon, in dem er ihn allein ließ.
    Daniel wagte nicht, sich zu setzen. Seine Stiefel machten auf dem Teppich große Schmutzflecke und so blieb er unbeweglich auf derselben Stelle stehen, da er nicht noch mehr Spuren seiner Anwesenheit in dem Prunkgemach hinterlassen mochte. Bei der Gelegenheit sah er auch, als er aufblickte, seine ganze Figur in einem großen Spiegel und mußte beinah laut auflachen, so sonderbar kam er sich vor.
    Im Grunde genommen war er hoch erfreut, daß die Dinge eine solche Wendung nahmen. Es lag ihm ja gar nichts daran, von Rionne zu sprechen, er hoffte Jeanne einen Augenblick herzen zu können und wollte dann schleunigst verschwinden, ehe der Vater nach Hause kam. Er neigte also den Kopf und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Hätte er das Kind lachen hören, so wäre er in aller Ruhe und Dreistigkeit bis zu ihr Vorgedrungen. Während er noch so lauschte, ertönte die Thürklingel und gleich darauf ließ sich vom Entree her das Rauschen eines seidnen Kleides und helles, weibliches Lachen vernehmen. Die neu Angekommene unterhielt sich mit Louis, aber so leise, daß die Worte nicht an Daniels Ohr gelangten.
    Nach wenigen Augenblicken rauschte es wieder, dann that sich die Salonthür auf und auf die Schwelle trat eine Dame jugendlichen Alters.
    Es war Julia.
    Sie trug ein allerliebstes hellgraues, mit weißen Spitzen und mattblauen Bändern garnirtes Kleid. Das feine, von blonden Haaren umrahmte Gesichtchen strahlte von Heiterkeit und Keckheit; die rote und weiße Schminke, mit der sie sich die Wangen belegt hatte, verlieh ihr einen untugendhaften Reiz. Ihren Kopf krönte, statt des Hutes ein Diadem aus geflochtenem Stroh und Kornblumen.
    Julia stak in einer argen Geldklemme. Die Möbel sollten ihr versteigert werden und da hatte sie sich an Herrn von Rionne erinnert, mit dem sie seit vierzehn Tagen nicht mehr verkehrte. Von der Not getrieben mußte sie ihm nachlaufen, worüber sie sich wütend ärgerte.
    Sie trat näher auf Daniel zu, bis in die Mitte des Salons. Da aber mußte sie sich die äußerste Gewalt anthun, um nicht laut aufzulachen.
    Der lange Laban mit den gelben Haren, der mit verblüfftem Gesicht breitbeinig auf dem kotigen Teppich stand, war für sie eine gar zu schnurrige Figur. Die Lachlust drohte sie zu ersticken.
    Sie beeilte sich deshalb in das Nebenzimmer zu gelangen; da aber genirte sie sich nicht mehr und platzte los.
    Indessen wurde Daniels Aufmerksamkeit alsbald von ihr abgelenkt. Der Hausherr kehrte zurück, wechselte einige Worte mit Louis und erhob dann die Stimme, als hätte er etwas Aergerliches vernommen. Im nächsten Augenblick riß er in der That die Salonthür heftig auf. Daniel flüchtete in seiner Angst in eine Ecke, wo er sich sehr klein machte. Was sollte er bloß sagen, was antworten?
    Aber von Rionne sah ihn nicht einmal, während er durch den Salon stürmte, in das nächste Zimmer hinein, wo Julia ihn erwartete. Er empfand wirkliche sittliche Entrüstung über die Frechheit der Dirne. Denn noch wirkte das Todsgrauen bei ihm so stark nach, daß er sich zu keiner Leichtfertigkeit aufgelegt fühlte und Tugend üben konnte.
    Daniel lauschte nicht gerade, hörte aber das laute Gespräch, das nun folgte:
    »Was willst Du hier?« fragte von Rionne in zornigem Tone.
    »Dich besuchen,« antwortete Julia mit großer Seelenruhe.
    »Ich habe Dir verboten, meine Wohnung zu betreten. Vergißt Du denn, daß ich Trauer habe?«
    »Willst Du, daß ich gehe?«
    Von Rionne schien die Frage überhört zu haben. Er fuhr in noch lauterem Tone fort:
    »Dein Besuch verstößt gegen alle Schicklichkeit. Ich hätte Dir mehr Gemüt und Verstand zugetraut.«
    »Nun, dann gehe ich.«
    Sie lachte und strich ihr Kleid zurück, als wollte sie aufbrechen.
    Von

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