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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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brachte nämlich in Erfahrung, daß Tellier endlich in das Abgeordnetenhaus gewählt worden war und einen Sekretär brauchte. Hierauf gründete er seinen Plan, bemühte sich sofort um Empfehlungen und nahm dem Verfasser des encyklopädischen Wörterbuchs, der ihm Dank schuldete, das Versprechen ab, daß er sich für ihn bei Tellier um die Stelle bewerben würde. Diese Vermittlung hatte den gewünschten Erfolg, Daniel sollte sich am nächsten Tage vorstellen und war von vornherein eines günstigen Bescheides sicher.
    Als Daniel Georg seinen Entschluß, aus der alten Wohnung auszuziehen, ankündigte, konnte dieser in seiner schmerzlichen Verwundrung lange Zeit kein Wort der Erwiederung finden.
    »Aber wir können doch nicht so auseinander gehn,« sagte er endlich. »Die Arbeit, die wir vorhaben, nimmt noch Jahre in Anspruch. Ich rechnete auf Dich, ich brauche Deine Mithülfe. Wo gehst Du denn hin? Was willst Du thun?«
    »Als Sekretär zu einem Abgeordneten ziehen,« antwortete Daniel mit einer Ruhe, als verstünde sich das so von selber.
    »Du und Sekretär eines Abgeordneten?!« Georg lachte. »Du spaßt, lieber Freund, denn Du kannst doch nicht der schönen Karriere, die Dir winkt, um einer untergeordneten und wenig einträglichen Stelle willen entsagen. Bedenke doch, daß uns die Zukunft gehört.«
    Daniel zuckte sehr gleichmütig die Achseln und lächelte voll souveräner Verachtung. Was machte er sich aus Ruhm und Ehren! Was brauchte er eine Karriere, eine Zukunft, wenn er nur Jeanne glücklich machen konnte! Er opferte ihr alles, ohne Bedenken; erniedrigte sich, ordnete sich einem fremden Willen unter, bloß um das Wohl des seiner Obhut anvertrauten Kindes besser fördern zu können.
    »Also Dein Meisterstück willst Du nicht mehr machen?” drängte Georg.
    »Mein Meisterstück muß ich auf einem andern Gebiet machen,” erwiederte Daniel sanft. »Ich gehe eben von Dir, um daran zu arbeiten. Frage mich nicht; Du bekommst eines Tages Alles zu wissen, sobald das Werk vollbracht sein wird. Vor allen Dingen bedaure mich nicht. Ich bin glücklich, denn heute ist mir eine Freude zu Teil geworden, auf die ich zwölf Jahre lang gewartet habe. Du kennst mich; Du weißt, daß ich einer sinnlosen oder schimpflichen Handlung unfähig bin. Mache Dir also keinen Kummer darüber, daß ich gehe, sondern sage Dir, daß mein Herz Befriedigung gefunden hat, und daß ich an die Erfüllung meiner Lebensaufgabe gegangen bin.«
    Georg gab ihm statt der Antwort die Hand. Er begriff, daß die Trennung sich nicht umgehen ließ; er hörte aus den Worten des Freundes eine so edle Begeisterung heraus, und ahnte, daß sie sich durch keine Hindernissse aufhalten lassen, daß sie auch vor den größten Opfern nicht zurückschrecken würde.
    Den nächsten Morgen schied Daniel mit heißen Thränen von ihm. Er hatte die Nacht nicht geschlafen, um seine Sache in Ordnung zu bringen und dem lieben Zimmer, in das er gewiß nie wieder zurückkehren würde, Lebewohl zu sagen. Sein Herz pochte hoffnungsfreudig und doch beklemmte ihn auch ein Wehgefühl, nun er den Ort, wo er gehofft und geweint hatte, verlassen mußte.
    Als er auf der Straße eben Abschied nahm, hielt er Georg noch einen Augenblick auf und sagte:
    »Ich werde Dich besuchen, wenn ich kann. Sei mir nicht böse und arbeite für Zwei.«
    Mit diesen Worten lief er schnellen Schrittes davon. Die Begleitung des Freundes hatte er abgelehnt.
    Eine solche Flut von Gedanken durchwogte sein Hirn, daß er in der Rue d’Amsterdam anlangte, ohne sich des durchlaufenen Weges bewußt zu sein.
    Seine Gedanken bewegten sich nur in der Vergangenheit und der Zukunft. Er sah mit den Augen seines Geistes Frau von Rionne auf ihrem Sterbebett, ging mit erstaunlicher Klarheit die verflossenen Jahre, Monat für Monat, durch und suchte die Ereignisse, die nun kommen würden, vorher auszurechnen.
    Durch diese ganze Träumerei zog sich ein Bild, das der kleinen Jeanne, so wie er sie einst auf dem Sande hatte spielen sehen, und der Anblick dieses Bildes entfachte in seiner Brust ein Feuer, das sein ganzes Wesen durchglühte.
    Denn die Kleine gehörte ja eigentlich ihm, ihre Mutter hatte sie ihm vermacht. Er wunderte sich, daß man sie ihm während der ganzen Zeit vorenthalten hatte; ereiferte sich über den Diebstahl und ließ sich dann wieder besänftigen durch den Gedanken, daß man sie ihm ja jetzt wiedergeben würbe. Nun würde sie ihm, ihm gang allein gehören. Nun würde er sie lieben wie er ehemals ihre

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