Das Gelübde einer Sterbenden
die Leute auf der Straße nicht vor ihm niederfielen und ihn den Vater des Volkes nannten.
Er flößte aber Niemanden Achtung oder Furcht ein, weder der Regierung, noch der Opposition, und benahm sich bei verschiedenen Gelegenheiten so einfältig, daß Manche ihn für bestochen hielten. Der Arme fand jedoch keinen Käufer, weil er sich zu hoch abschätzte und zu wenig wert war. Er hatte wohl das Zeug zu einem Gecken, aber nicht zu einem Intriganten.
Manchmal hielt er auch Reden im gesetzgebenden Körper d. h. er las langatmiges Geschwafel vor. Dabei passirte es ihm jedoch einmal, daß er seine Sache gut machte, weil sich die Debatte um die Industrie drehte, von der er etwas verstand. Dieser Erfolg hätte ihm den rechten Weg weisen, ihn lehren sollen, daß es für ihn das Beste war sich auf sein Fach zu beschränken. Aber seine Eitelkeit träumte nur von großartigen Prinzipienerörterungen und so blieb er bei den erbärmlichen Gemeinplätzen stehen, in denen sich alle Demokratien zu bewegen lieben. Seine Frau setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn von der aktiven Politik fern zu halten. Denn da ihr ganzer Ehrgeiz sich um die Herrschaft im Reich des Luxus und der Mode drehte, hätte sie es gern gesehen, wenn er vor ihr zurückgetreten und bescheiden im Hintergrunde geblieben wäre. Aber er beharrte bei seinem Vorsatze und erklärte ihr, er lasse ihr volle Freiheit in ihren Amüsements, wollte aber auch seinerseits seinem Vergnügen, so wie er es auffaßte, nachgehen. Es hatte also sein Bewenden dabei, daß Jedes seinen eignen, dem des Andern diametral entgegengesetzten Weg ging. Sie wurde in ihrem Aerger immer excentrischer in ihren Toiletten, immer verschwenderischer und er donnerte in der Kammer gegen den Luxus, pries die heilsame Rauhheit der republikanischen Sitten, drosch philanthropische Phrasen. Im Grunde genommen war die Narrheit des Einen nicht besser oder nicht schlechter, als die des Andern.
Es währte nicht lange, so kannte Telliers Ehrgeiz keine Grenzen mehr. Es kitzelte ihn, unter die Schriftsteller zu gehen, die Welt mit einem weitschichtigen Werk über die Nationalökonomie zu beglücken. Leider verhedderte er sich gehörig in dieser heiklen Materie und mußte sich nach einem Sekretär umsehen, der ihm aus der Patsche helfen sollte. Daniel that sehr demütig, sehr devot, sagte Ja zu allen Bedingungen, die es Tellier beliebte ihm vorzuschreiben. Er hörte kaum hin auf das, was der Andre sagte, und hatte bloß vor, sich in dem Hause auf die Dauer festzusetzen.
»Noch Eins!« rief plötzlich der Abgeordnete, als schon alles vereinbart war. »Da wir zusammen arbeiten, muß jedem Mißverständnis zwischen uns vorgebeugt werden. Die Gedanken sind zollfrei und ich möchte Ihrem Gewissen nicht die geringste Konzession zumuten; aber sagen Sie mir doch: Welches sind Ihre politischen Meinungen?«
»Meine politischen Meinungen?« wiederholte Daniel verdutzt.
»Ja wohl. Sind Sie liberal gesinnt?«
»Natürlich bin ich liberal, so liberal wie nur möglich!” bestätigte der junge Mann, dem zur rechten Zeit die Marmorstatuette mit der Freiheitsmütze einfiel und indem er sich unwillkürlich nach der Konsole hinwandte.
»Haben Sie Die gesehen?« fragte Tellier mit feierlichem Ernst, erhob sich von seinem Sitz und nahm die Puppe in die Hand. »Dies ist die große Mutter, die irdische Jungfrau, die dermaleinst die Völker zur Wiedergeburt emporheben wird!«
Daniel sah das Ding neugierig an und wunderte sich, so pompöse Worte auf solch ein winziges Figürchen angewendet zu hören. Der Abgeordnete aber betrachtete die Statuette so zärtlich wie ein Kind, seinen geliebten Hampelmann. In der That hatte er eines Tages dieses sein Spielzeug, als er es nicht an dem gewohnten Orte fand, Stunden lang gesucht, bis er es in Jeanne’s Händen fand. Die Kleine, die damals noch im Anfang ihrer Schulzeit stand, war auf einen Tag aus dem Kloster nach Hause zurückgekehrt und hatte die Göttin der Freiheit als Puppe benutzt.
Aus Telliers Rührung schloß Daniel, daß das kleine Frauenzimmerchen durchaus der Vorstellung entsprach, die sich der Phrasenheld von der derben und gewaltigen Göttin machte; die Freiheit, die er mit so großem Geschrei verlangte, war ein niedliches, lächelndes Dirnchen; kurz ein Taschenexemplar der Freiheit.
Tellier versank schließlich wieder in seinen Lehnstuhl, nahm Daniels Dienste definitiv an und erging sich in politischen Betrachtungen von unverständlichster Tiefsinnigkeit. Der arme
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