Das Gelübde einer Sterbenden
Mensch mußte seine Rolle als gehorsames Möbel schon früh antreten.
Mitten in einer langen Periode wurde der Redner von einer Lachsalve unterbrochen, die sich im anstoßenden Zimmer vernehmen ließ. Eine jugendliche Stimme rief vergnügt: »Onkel! Onkel!« Gleichzeitig flog die Thür auf und herein stürmte ein junges Mädchen, auf Tellier zu und zeigte ihm zwei exotische Vögel in einem vergoldeten Käfig, den sie in der Hand hielt. »Sehen Sie doch, Onkel,« sagte sie. »Wie allerliebst sie mit ihrer roten Brust, ihrem gelben Rücken und ihrer schwarzen Federkrone aussehn. Die habe ich eben geschenkt bekommen.« Dabei lächelte sie und bog, um die Gefangnen besser betrachten zu können, mit reizend geschmeidigen Bewegungen den Kopf zurück.
Sie sah noch sehr kindlich aus, obwohl sie schon völlig erwachsen und entwickelt war. Es war, als erfülle ihre Erscheinung die ernste Studirstube mit Licht und Luft; ihr weißes Kleid verbreitete einen milden, klaren Glanz; ihr Gesicht strahlte wie die rosige Morgenröte. Sie trippelte hin und her, schwenkte den Käfig, nahm den ganzen Raum für sich in Anspruch und ließ überall den frischen Duft der Jugend und Schönheit zurück. Dann richtete sie sich wieder auf und schaute mit ihren tiefen Augen ernst drein, ein Bild stolzer und noch unwissender Jungfräulichkeit.
Das war die kleine Jeanne!
Die kleine Jeanne! Daniel war bei ihrem Eintritt bebend aufgestanden und betrachtete seine liebe Tochter voller Ehrerbietung. Er hatte nie bedacht, daß sie gewachsen sein mußte. Für ihn war sie so geblieben, wie er sie zuletzt gesehen hatte, und in seiner Vorstellung von ihrem Wiedersehen neigte er sich immer zu ihr nieder, um sie auf die Stirn zu küssen.
Und nun war sie ein großes, schönes, stolzes Mädchen geworden! Nun glich sie den andern Damen, die sich über ihn mokirten! Um keinen Preis wäre er an sie herangetreten, um sie zu umarmen. Ja, bei dem bloßen Gedanken, daß sie ihren Blick nun auch auf ihn richten werde, erschrak er schon.
Sie hatten ihm sein Töchterchen ausgewechselt. Ein Kind hatte er wieder haben wollen, denn nie würde er sich erkühnen, die große und hübsche junge Dame da anzureden, die so listig lachte und so stolz auftrat. In dem Augenblick des ersten Erstaunens wußte er nicht mehr recht, was er hier machte, vergaß er ganz, was seine Wohltäterin ihm geboten hatte.
In seiner Bestürzung war er in eine Ecke zurückgewichen und stand verlegen da, ohne zu wissen, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Trotz seiner Angst konnte er nicht die Augen von dem Gesicht des jungen Mädchens abwenden, denn er fand, daß sie der Mutter ähnelte, aber die Reize der Gesundheit und des Lebens vor ihr voraus hatte und fühlte eine linde Wärme in seiner Brust aufsteigen.
Jeanne, die auf die Scheltworte des Onkels hinhören mußte, sah nicht einmal den schüchternen Gast.
Der Onkel nämlich konnte die lärmvolle Lebendigkeit der jungen Mädchen nicht leiden, die ihn aus seinem tiefsinnigen Konzept brachte. Er maß Jeanne mit strengen Blicken und war nahe daran, aus dem Häuschen zu geraten.
»Herr des Himmels!« rief er, »Du kommst ja hier herein wie ein Sturmwind. Kannst Du denn nicht vergessen, daß Du nicht mehr im Institut bist? So nimm Dich doch zusammen und sei ein wenig gesetzt.«
Jeanne, die sich beleidigt fühlte, hatte während dieser Strafpredigt eine ernste Miene angenommen, und ein kaum merkliches Lächeln der Geringschätzung zuckte um ihre Rosenlippen. Man konnte ihr anmerken, daß sie rebellisch gesinnt war. Offenbar hatte sie schon herausgefunden, wieviel dummer Dünkel sich hinter dem feierlichen Ernst des Onkels verbarg, denn in ihren Augen spiegelte sich malitiöse Heiterkeit, die gegen die ihr zugemutete Ehrpussligkeit Einspruch erhob.
»Zumal Jemand bei mir ist,« setzte Tellier mit gewichtigem Nachdruck seiner Vermahnung hinzu.
Jeanne wandte sich nach dem Jemand um und bemerkte Daniel in seiner Ecke. Sie sah ihn einige Sekunden lang neugierig an und hob die Lippen mit einem Anflug von Mißvergnügen. Sie hatte bis jetzt nur für die Heiligenbilder ihres Klosters geschwärmt, und der hagre Gesell mit den unregelmäßigen, unschönen Gesichtszügen und dem linkischen Wesen erinnerte doch in keiner Hinsicht an die reinen Profile und seidigen Bärte, mit denen ihr Gebetbuch illustrirt war.
Daniel senkte unter ihrem Blick den Kopf, während er eine Blutröte in sein Gesicht aufsteigen fühlte. Es war ihm weh ums Herz. Nie wäre
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