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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Wesen; stand sie vor ihm, im Glanze ihrer Schönheit und Jugend, so kam er sich so klein vor, als schaue eine Gottheit auf ihn herab.
    Unter anderm nahm er die Gewohnheit an, jeden Nachmittag gegen vier Uhr, wenn schönes Wetter war, an sein Fenster zu treten und in den Hof hinabzusehen, wo eine Equipage wartete, in der Frau Tellier und Jeanne spazieren zu fahren pflegten. Wenn die beiden Damen die Freitreppe hinunterstiegen, hatte Daniel nur Augen für das junge Mädchen.
    Wie sie sich hierbei benahm, war für ihn ein Studium von besondrem Interesse. Die Art, wie sie sich in die Kissen zurückwarf, fand er von einer Lässigkeit, die sein Mißfallen erregte. Auch ärgerte ihn ihr Putz, denn er hatte das Gefühl, daß alle die Bänder und Spitzen ihm imponirten und ihn einschüchterten.
    War die Equipage mit Jeanne davongerollt, so starrte Daniel noch eine Weile in den leeren Hof hinab. Der tiefe Schacht kam ihm dann jedes Mal noch düstrer und öder vor als zuvor. Er ließ seinen Blick trübselig an den Wänden entlang gleiten und gedachte mit Bitterkeit der schönen Träume, an denen er sich Angesichts der Bäume der Impasse Saint Dominique d’ Enfer ergötzt hatte.
    Er redete sich bald ein, daß Jeanne ein schlechter Charakter und daß die Sorgen ihrer armen Mutter nichts weniger als grundlos gewesen seien. Diesen Gedanken gab ihm sein Mißmut ein, sein Aerger, daß er seine jetzige Umgebung nicht verstand.
    Der Uebergang hatte sich zu schnell vollzogen. Da er bisher mit mönchischer Strenge und in einsiedlerischer Zurückgezogenheit gelebt hatte, so kannte er vom Leben nur die rauhen Seiten. Der naive große Gelehrte hatte vor Putz und Luxus eine heilige Scheu und nicht das geringste Verständnis für die Eigenart der Frauen.
    Und nun stand er plötzlich dem Thun und Treiben der müßigen Reichen gegenüber, nun sollte er die Gemütsäußerung eines jungen Mädchens deuten. Hätte Jeanne ihm ein so freundschaftliches Willkommen geboten wie einst Georg im Luxemburger Garten, so hätte er das ganz natürlich gefunden, denn er hatte keine Ahnung von den Gebräuchen, die in der vornehmen Welt herrschen. Er erkundigte sich nicht, was sich hinter dem ihm verhaßten Frauenputz verbarg, sondern bildete sich ohne Weiteres ein, er decke ein verderbtes Herz. Statt dessen hatte Jeanne in ihrem Kloster, trotz ihrer achtzehn Jahre, einen sehr kindlichen und kindischen Sinn behalten. Ihr Gemüt und ihr Verstand waren im Umgange mit ihren oberflächlichen kleinen Freundinnen zurückgeblieben und sie hielt das Leben für eine Art Märchendrama, in dem sie einst auch eine Rolle spielen würde. Im Kloster übermäßig in Anspruch genommen durch die unzähligen Albernheiten und Nichtigkeiten der modernen Mädchenerziehung, war sie ein nervöses Kind, ein elegantes, distinguirtes Püppchen geworden.
    Von ihrer Mutter hatte sie nur noch eine recht dunkle Vorstellung. Kein Mensch sprach je mit ihr über ihre erste Kindheit und sie selber dachte an die Verstorbne nur, wenn sie die Mütter der Kameradinnen im Sprechzimmer des Klosters sah. Dann fühlte sie wohl, daß es ihrem Herzen an etwas fehlte, aber was das war, hätte sie nicht angeben können.
    In dem Maße wie sie heranreifte, gewöhnte sie sich an die Vereinsamung, zu der die verurteilt war, und wurde verschlossen, gleichgültig, beinah boshaft. Aus dieser Gemütsverfassung entwickelte sich allmählich eine starke Neigung zu Spott und Ironie, durch die sie sich überall gefürchtet machte, während anderseits die zarteren Gefühle einschlummerten und in den Tiefen ihres Herzen verborgen blieben. Vielleicht hätte es nur eines Kusses bedurft, um ihre Liebesfähigkeit zu wecken und ein zärtliches Weib aus ihr zu machen. Aber es war Niemand da, der ihr diesen Kuß gab.
    Nachdem Sie also vom Kloster abgegangen war, und sich bei der denkbar schlechtesten Morallehrerin in die Schule begeben hatte, wohnten zwei verschiedne Ichs in ihr, ein spottsüchtiges, hochmütiges, und ein edleres, das sich nicht kannte, aber ab und zu in einem seelenvollen Blick zutage trat.
    Da erfaßte sie eine unsinnige Leidenschaft für Toiletten und frivole Vergnügungen, um sich auszutoben, um ihre Jugendkraft, mit der sie nichts anzufangen wußte, zu verausgaben. Natürlich konnte diese frivole Beschäftigung sie nicht wirklich befriedigen, und es gab Augenblicke, wo sie sich über die Oedigkeit ihres Lebens klar wurde; aber dann verspottete sie sich selbst, suchte sich zu beweisen, daß zu ihrem Glück

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