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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Endlich war sie darauf gefaßt gewesen, daß die Klostererziehung aus Jeanne ein Gänschen gemacht hätte, und nun war sie angenehm überrascht, als sie in ihrer Nichte einen verbitterten, bissigen, kalten Charakter entdeckte. Deshalb hatte sie rasch Freundschaft geschlossen mit der Spötterin und bestärkte sie in ihrem häßlichen Fehler, ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Denn da ihr selber keine Herzensgüte eigen war, die Jeanne’s Herz zum Leben hätte erwecken können, so glaubte sie ihr einen Dienst zu erweisen, indem sie ein Talent in ihr ausbilden half, das ihrer Meinung nach einer zukünftigen Weltdame förderlich und notwendig war.
    So führten also beide dasselbe frivole Leben, die Tante mit vollster Seelenruhe, die Nichte ab und zu von heimlichem moralischen Unbehagen gequält. Die Eine galt in Paris für eine Königin der Mode, die Andre für eine Infantin, die früher oder später Königin werden sollte. Ueber diese beiden Damen ärgerte sich also Daniel jedes Mal, wenn er sie von seinem Fester aus in ihre Equipage steigen sah, und gedachte der Worte seiner Wohlthäterin, die vorausgesehen hatte, wie schlechte Unterweisung ihre Tochter von der Tante empfangen würde. Wie sollte er bloß diesem bösen Einfluß entgegenwirken?
    Da geschah es eines Tages, daß Tellier, der Daniel seine Huld zugewandt hatte, ihn zu einer Soiree einlud. Daniels erster Gedanke war, er solle die Aufforderung ablehnen. Gab es doch nichts Entsetzlicheres für ihn, als sich in einem hell erleuchteten Salon unter lauter eleganten Herren und Damen zu bewegen!
    Aber da ließ sich in seinem Innern Frau von Rionne’s matte Stimme vernehmen. »Folgen Sie meiner Tochter auf Schritt und Tritt, hatte sie gesagt, und halten Sie alle schlechten Einflüsse von ihr ab.«
    Er nahm also trotz seiner innerlichen Angst Telliers Einladung an.
    Am Abend brachte er über eine Stunde vor seinem Spiegel zu. Denn so wenig eitel er war, so sehr fürchtete er, sich in Jeanne’s Augen lächerlich zu machen. Es gelang ihm denn auch eine Toilette zu Stande zu bringen, die in ihrer Einfachheit nichts Auffälliges hatte.
    Als er sich dann zur festgesetzten Zeit in den Salon schlich, war ihm Anfangs so beklommen zu Mute, wie einem Schwimmer, der mit dem Kopf untertaucht. Die Lichter tanzten ihm vor den Augen, das Stimmengewirr summte ihm in den Ohren und sein Atem stockte. Er mußte eine Weile unbeweglich stehen bleiben, um des Uebels Herr zu werden.
    Da ihn aber Niemand beim Eintritt beachtet hatte, so konnte er sich ungestört erholen und die übermäßige Befangenheit abschütteln.
    Nun vermochte er seine Umgebung klar zu erkennen. Der in Weiß und Gold gehaltene Salon erstrahlte im hellsten Kerzenlicht; die vergoldete Bronze der Kandelaber blitzte und von den Wänden prallten grelle Reflexe ab, von denen die Augen geblendet wurden.
    In der schwülen Luft des Raumes wogten Blumendufte, in die sich die Parfüms weiblicher Schultern mischten.
    Es fiel Daniel auf, daß die Damen im Hintergrunde saßen, während die Herren, von ihnen abgesondert, an den Thüren und Fenstern standen und unter sich blieben. Die ganze Gesellschaft war in zahlreiche Gruppen aufgelöst, und man hörte nur ein gedämpftes Gemurmel, aus dem von Zeit zu Zeit ein leises, alsbald zurückgehaltnes Lachen herausklang. Daniels hatte sich bei dem Anblick eine Art achtungsvoller Scheu bemächtigt. Der Ernst der älteren Männer, die Eleganz der Jüngern imponirten ihm. Denn da er nie so viel Glanz und Herrlichkeit gesehen hatte, so war sein Geist unvorbereitet und vollkommen wehrlos gegen den gewaltigen Eindruck, den das Ganze auf ihn ausübte; er bildete sich ein, er sei plötzlich in eine lichte Sphäre versetzt, wo alles gut und schön sein müsse. Besonders verzückt war er über das liebenswürdige Lächeln der Damen, über ihre schönen, mit Gold und Edelsteinen geschmückten Arme und Hälse. Namentlich aber hatte er seine Augen auf Jeanne geheftet, die stolz und sieghaft in Mitten eines Schwarms von Verehrern saß.
    Bald wandelte ihn nun die Lust an, den Gesprächen dieser höheren Wesen zu lauschen, und er trat bescheiden an eine Gruppe heran, in der Tellier ein gewichtiges Thema zu entwickeln schien.
    Da hörte er Folgendes:
    »Ich bin seit gestern etwas erkältet,« sagte der Abgeordnete.
    »Da müssen Sie sich in Acht nehmen,« antwortete ein alter Herr.
    »Ei bewahre! So was vergeht, wie’s gekommen ist.«
    Länger hörte Daniel nicht diesem Gespräch zu; er bedauerte

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