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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Siebenköpfigen sprachen. Aber, ja, es gibt viele Theorien, die das Weib der Apokalypse mit der Mutter Gottes gleichsetzen, vor allem wohl wegen des Sohnes, den sie zur Welt bringt. Ich bin kein Bibelforscher, ich sehe nur das, was schwarz auf weiß auf dem Papier steht – aber natürlich muß auch ich eingestehen, daß die Übereinstimmung frappierend ist. Deshalb« – er bog die schmerzenden Schultern nach hinten, bis sie vernehmlich knackten –, »deshalb also scheint mir die Vermutung gerechtfertigt, daß es sich bei diesem Siebenköpfigen, den Anna erwähnt hat, um den Drachen der Offenbarung handelt.«
    »Welche Rolle spielt er, abgesehen davon, daß er die arme Frau in die Wüste jagt?«
    »Er gibt seine Kraft weiter an das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt und die Welt mit seiner schrecklichen Macht bedroht. Auf diesem Tier reitet später die Große Hure Babylons, die Mutter aller Unzucht.«
    Die Bilder fügten sich zusammen wie uralte Mosaiksteine.
    Der Siebenköpfige, der Maria gejagt und ihr geschworen hatte, alle ihre Nachkommen zu vernichten; dazu die Mutter aller Huren, Sinnbild fleischlicher Sünde. Es wunderte mich kaum mehr, daß Anna, die sich der Jungfrau Maria so sehr verbunden fühlte, ausgerechnet den Zorn des Siebenköpfigen auf sich bezog, als Strafe für ihr blasphemisches Treiben mit der Maria ihrer Visionen.
    Die Zusammenhänge klärten sich, doch sie klangen dadurch nicht weniger verrückt. Ich bot dem Abbé weiteren Branntwein an, doch er lehnte dankend ab; der Inhalt seines Bechers war noch unberührt. Ich schenkte mir den Rest ein und trank sofort die Hälfte aus.

    »Glauben Sie, dadurch legt sich Ihre Verwirrung?« fragte er mit Blick auf die leere Flasche.
    »Wie kommen Sie darauf, daß ich verwirrt bin?«
    »Sie sind gereizt. Aufgrund von Dingen, die Ihnen bis vor wenigen Tagen nicht das Geringste bedeutet haben.«
    »Überrascht Sie das?« Der Branntwein löste meine Zunge.
    »Ich sehe eine kranke Frau, die zu schwach ist, ihr Bett zu verlassen. Und ich sehe Männer, die wie die Schmeißfliegen um sie herum schwirren. Ich frage mich, ob nicht…«
    »Herr Brentano«, unterbrach er mich mit verzeihendem Lächeln, »Sie sollten an einem Ort wie diesem nicht die gleiche Schlechtigkeit suchen, die Sie aus den großen Städten kennen.«
    »Ich sehe nicht, was den Unterschied ausmacht.«
    »Dabei ist die Antwort so einfach. Es ist der Glaube, Herr Brentano. Keiner von denen, die mit Anna zu tun haben, würde gegen seinen Glauben verstoßen. Was immer wir für Anna empfinden mögen, zwischen ihr und uns steht immer der Engel Gottes.«
    »Der Engel Gottes!« wiederholte ich abfällig. »Hat er ihr denn geholfen, als nachts der…« Ich brach ab, als mir bewußt wurde, daß ich beinahe ein Geheimnis ausgeplaudert hätte.
    »Verzeihen Sie«, bat ich, doch ich konnte sehen, daß die Neugier des Abbés geweckt war.
    »Worauf wollen Sie hinaus?« fragte er, und sein Blick wurde stechend.
    »Nichts. Gar nichts. Es tut mir leid.« Ich schloß für einen Moment die Augen, nicht nur, um seinem Starren zu entgehen.
    Ich mußte zu mir kommen, wieder nüchtern werden. »Ich habe zuviel getrunken. Hören Sie nicht auf das, was ich sage.«
    Damit stand ich auf und wollte zur Tür gehen, als plötzlich mein Blick auf die aufgeschlagene Bibel fiel. Eilig trat ich zurück und betrachtete die Illustration neben dem Text. Sie zeigte ein furchterregendes Untier mit sieben Häuptern und sieben Kronen, so wie es von Johannes in seiner Offenbarung beschrieben worden war. Der Illustrator hatte mit der Freiheit des Künstlers ein Detail hinzugefügt, das in den Zeilen nicht erwähnt wurde: Die Drachenköpfe hatten gewaltige Schnäbel statt Mäuler. Sie waren halb Hahn, halb Reptil.
    Ich höre seinen Hahnenschrei.
    »Kennt Anna dieses Bild?«
    »Gewiß«, antwortete der Abbé. »Das hier ist die alte Bibel des Klosters Agnetenberg. Anna hat oft hineingeschaut, wenn sie mich in der Sakristei besuchte.«
    »Sie hat erwähnt, daß der Siebenköpfige die Schreie eines Hahns ausstößt.«
    Der Abbé lächelte gutmütig, so wie ein Vater sein neunmalkluges Kind belächelt. »Sie hat dieses Buch sehr geliebt. Als ich noch ein wenig mehr Kraft hatte, habe ich es oft mit an ihr Lager genommen.«
    Ich dankte ihm, nachdenklich geworden, nahm Abschied und wankte die Treppen hinab zur Straße. Die leere Flasche blieb auf dem Tisch zurück.

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    13

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    »Ich kann jeden Laut in diesem Haus hören.« Anna lag in

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