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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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heftiger, begriff ich, daß ihre Macht über mich keine religiöse war.«
    Sie zögerte einen Augenblick, beunruhigt über ihre eigenen Worte. Als sie schließlich weitersprach, klang sie immer noch beschämt, doch jetzt kamen die Worte flüssiger, beinahe ohne zu stocken. Ich entdeckte eine Spannung tief in meinem Inneren, ein Begehren, alles zu erfahren.
    »Das zweite Mal begegnete ich ihr in der Kapelle des Klosters«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht, ob ich nur im Traum zwischen den Bänken wandelte, oder ob ich tatsächlich dort war. Sie trat hinter einer Säule hervor und kam auf mich zu, nicht mehr verschleiert, sondern ganz offen, und ich schaute in ihr Gesicht und erkannte, daß sie es war. Ich hatte nie einen Zweifel daran, auch heute nicht. Sie kam auf mich zu, nahm meine Hände und küßte mich auf den Mund. Ich erschrak und ich frohlockte, beides auf einmal, und wenn es ein einfacher Traum gewesen wäre, so wäre ich gewiß erwacht und hätte geschrien. Nicht vor Schreck oder Scham, sondern darüber, daß sie fort und ich wieder allein war. Ich brannte, verstehen Sie, brannte vor Wollust! Ich dachte, daß so der Widersacher empfunden haben mußte, als er des nachts in meine Kammer gestiegen war, und ich fühlte mich ihm niemals so nahe wie in diesem Augenblick, als ihre Lippen die meinen berührten, nicht weil ich glaubte, etwas Teuflisches zu tun, sondern weil ich ihn plötzlich verstand! Ich verstand den Teufel und sein Tun so gut wie niemals zuvor!
    Sie preßte ihre Lippen auf die meinen, und dann spürte ich, wie ihre Zungenspitze ganz sanft meine Haut berührte, vorsichtig Einlaß begehrte, wie sie unendlich zärtlich in mich eindrang. Erst zauderte ich, dann aber gab ich nach, genoß, wie sie meinen Mund erkundete, vertieft in ein Spiel, das längst nicht mehr allein das meine oder ihre war, sondern ein Spiel unserer Körper, die wie von selbst die Führung übernahmen.
    Sie löste ihr Gewand, es fiel rund um sie nieder, und ich konnte nur dastehen und ihren Leib bewundern. Ihre Hände tasteten über mein Nachthemd – ich kam manchmal nachts nur im Hemd in die Kapelle, um zu beten, ganz allein, deshalb könnte ich tatsächlich dagewesen sein – ihre Hände also betasteten mein Hemd, streiften es langsam an den Hüften nach oben, rafften den Saum an meinen Schenkeln empor, und sogar heute noch kann ich mich genau an dieses Gefühl erinnern. Und was für ein Gefühl das war! Der Stoff wanderte an meiner Haut hinauf, als wehe ihn ein warmer Luftzug empor, und hätte ich nicht ihre Fingerspitzen auf meinen Hüften gespürt, wie zärtliches Klavierspiel auf meinem Fleisch, so hätte ich wohl geglaubt, mein Nachthemd hebe sich von ganz allein.
    Sie entblößte meine Beine, meinen Schoß, meinen Bauch, warf das Hemdchen beiseite. So standen wir uns gegenüber, betrachteten uns, liebkosten uns mit Blicken und genossen die zarte Berührung unserer Leiber, das flüchtige
    Aneinanderstreifen, das leichte Drängen, als sie mich auf dem Mittelgang zu Boden preßte, hinab auf den kühlen Stein, der mir nie so weich, so einladend erschienen war. So wie eben noch ihre Blicke über mich hinweggewandert waren, so taten es nun ihre Hände, ihre geschickten, wunderbaren Finger, so lang und schlank und leichtfüßig wie die Pfoten eines Kätzchens. Sie spürten die Form meiner Brüste nach, zogen Kreise darum, während Höfe und Warzen geronnen wie Perlen aus heißer Milch. Dann wanderten ihre Hände tiefer, strichen über meinen Bauch, und ich schloß die Augen, als ihre Finger kleine Löckchen in das Haar zwischen meinen Schenkeln drehten. Ich wurde ganz klein unter dieser Berührung, besiegt und doch anschmiegsam, schmolz in jede Form, die sie begehrte. Ich fühlte sie dort unten in mir, doch bald schon war es nicht nur ein Eindringen zwischen meinen Schenkeln; ich spürte sie überall, mit stummer, begehrender Gewalt, während ich ihr entgegenbebte und mich ganz ihrem Drängen überließ.
    Ich erschauerte unter ihrer Nähe, klammerte mich an sie, bäumte mich ihr vor Gier entgegen. Heißes Schaudern wogte über mich hinweg wie das Tosen der ersten großen Ozeane, so ursprünglich und empfänglich für das neue Leben in der Tiefe, schweigend in düsterer Schwere.«
    Annas Blick war ganz in ihrer Erinnerung versunken, schaute hinab auf den Grund ihrer Träume. Ich war betroffen, peinlichst berührt von ihrer Offenheit, und doch wie gebannt von jedem ihrer Worte. Ich schalt mich lüstern und schuldig an ihrer

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