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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und da wurde sie wieder zu dem Schatten, aus dem sie emporgestiegen war, der Drache, der höher in den Himmel schwebt, während der Träumer achtlos am Boden zerschellt.
    Als ich erwachte, fand ich mich zusammengerollt im Bett, die Laken durchgeschwitzt, mein Gesicht im Menschenhaar der Puppe vergraben.

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    15
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    »Die Evangelisten scheinen Maria nie allzu ernstgenommen zu haben«, sagte der Abbé am nächsten Morgen. »Markus etwa, der das früheste Evangelium verfaßte, beschreibt weder die Verkündigung einer jungfräulichen Empfängnis noch die Geburt des Heilands. Alles in allem erwähnt er Maria nur zweimal, beide Male im Zusammenhang von Reden, in denen Jesus sich scharf von seiner irdischen Familie lossagt.«
    Wir wanderten gemeinsam am Rande der Felder entlang, die sich jenseits der Stadtgrenze nach Westen erstreckten. In einiger Entfernung, jenseits einer sanften Erhebung, lag das weite Heideland mit seinen tückischen Sumpflöchern. Der Wind trug Laub und den erdigen Geruch der Moore herüber.
    Der Abbé hatte meine Einladung zu einem Spaziergang nur zu freudig angenommen, ohne meinen Besuch von vor zwei Tagen mit einem einzigen Wort zu erwähnen. Meine Trunkenheit war mir immer noch peinlich, und ich vermied jedes Wort darüber. Nicht einmal eine Entschuldigung brachte ich über die Lippen. Der Abbé schien auch keine zu erwarten.
    »Erst Matthäus, der zweite Evangelist, spricht von ungewöhnlichen Vorgängen rund um die Empfängnis.
    Demnach plante Joseph nämlich, seine Braut Maria zu verlassen, als er bemerkte, daß sie auf unerklärliche Weise schwanger geworden war. Da erschien ihm, und nicht etwa Maria, ein Engel, der kundtat, das Kind stamme vom Heiligen Geist. Joseph, durch und durch fromm, war daraufhin von der Treue seiner Verlobten überzeugt und blieb bei ihr.«
    »Wie edel«, bemerkte ich kopfschüttelnd.
    »Nicht wahr?« Der Abbé kicherte. »Ja, ja, es waren wundersame Zeiten damals, bevölkert von gläubigen Menschen! Erst Lukas versuchte, der Mutter des Messias in seiner Darstellung ein wenig gerechter zu werden. Bei ihm ist sie selbst es, der der Engel die Botschaft verkündet. Sie wissen schon: ›Gebenedeit bist du‹ und so weiter…«
    Ich nickte stumm.
    »Auf jeden Fall verlieh Lukas Maria ein gewisses Gewicht, machte sie manchmal gar zum Mittelpunkt des Geschehens. In Anbetracht der damaligen Zeiten war das gewiß ein Wagnis.
    Doch auch Lukas verliert sie schließlich aus den Augen, zu einem Zeitpunkt, wenn ich mich recht erinnere, als Jesus zwölf Jahre alt ist und sich zum ersten Mal öffentlich von seiner Familie distanziert – vor vollbesetztem Tempel. Ein freches Bürschchen, das muß man sagen!« Der Abbé lachte leise, und es klang so trocken wie das Laub unter unseren Füßen. »Der letzte Evangelist, Johannes, schlug abermals einen anderen Weg ein. Er erwähnt Maria erst in seiner Schilderung der Hochzeit zu Kanaan – Wasser zu Wein, daran erinnern Sie sich bestimmt –, wo sie den Platz an Jesu Seite einnimmt. Später taucht sie dann noch einmal am Kreuz ihres Sohnes auf, als er sie seinem Jünger Johannes anvertraut. Sie sehen, mein Freund, eigentlich gab es nie besonderen Anlaß, Maria jene Verehrung angedeihen zu lassen, mit der man sie später bedacht hat. Überhaupt wäre Christus selbst solch ein Kult niemals recht gewesen. Zum Beispiel erzählt Lukas von einer Episode, in der eine Frau Jesus während einer Predigt zuruft:
    ›Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast‹, woraufhin der Heiland sie zurechtweist:
    ›Selig sind jene, die das Wort Gottes hören und bewahren.‹
    Das hat er zwar recht einfühlsam formuliert, aber der Widerspruch ist nicht zu überhören.«
    »Wie kommt es dann, daß die Kirche der Mutter Gottes heute solch eine Stellung einräumt?«
    »Nur die katholische Kirche, das sollten Sie nicht vergessen.
    Unsere lutheranischen Freunde sind da ganz anderer Ansicht.
    Der Stellenwert Marias war nie unumstritten.«
    »Sie sind ein katholischer Geistlicher, und trotzdem machen Sie solche Zugeständnisse. Ist das nicht ungewöhnlich?«
    »Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Wir Katholiken sind im Recht, und die Lutheraner im Unrecht, daran besteht für mich gar kein Zweifel. Aber im Gegensatz zu unserem guten Pater Limberg versuche ich, auch was diese Dinge angeht, einen klaren Kopf zu bewahren.«
    »Dafür hätte man sie in früheren Zeiten sicher einen Weisen genannt.«
    Er sagte nichts darauf,

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