Das Generationenschiff
Aneinanderfolge von Verlusten, sondern als eine Reihe von Herausforderungen, denen sie sich gestellt, und Veränderungen, die sie ertragen und manchmal sogar genossen hatte.
Die Erinnerung an ihre muffigen, spießigen Nachkommen irritierte sie nicht mehr – arme Teufel, dachte sie, sie wissen nicht einmal, welcher Spaß ihnen entgeht –, und Sassinaks Gewaltpotential bildete jetzt das passende Kontrastmittel für ihre eigenen pazifistischen Neigungen. Sie konnte Sassinak als Nachfahrin schätzen und gleichzeitig als Ältere respektieren, mit einer leisen Belustigung über die seltsamen Umstände, die beides zugleich ermöglichten.
Ihr letzter Blick auf den ›Berg‹ galt demselben ruhigen Teich, demselben Findling und der Tür, die diesmal von einem anderen Novizen geöffnet wurde. Lunzie wußte, daß ihr eigenes Gesicht nicht mehr als Ruhe ausdrückte; innerlich aber lächelte ihr Herz, und sie war aufgeregt, weil sie eine neue Gelegenheit bekam, sich dem Leben mit allen seinen Schwierigkeiten zu stellen.
Jetzt sah das medizinische Personal in den Korridoren mehr wie potentielle Kollegen und weniger wie vom Glück begünstigte Fremde aus, die sie nie akzeptieren würden. Lunzie checkte sich am ersten offenen Terminal in die Herberge für Gastärzte ein und gab dann den Rufcode ein, den der Ehrwürdige Meisteradept ihr genannt hatte. Der Bildschirm blitzte kurz auf und beruhigte sich wieder, als eine Textzeile darüber hinwegwanderte.
»Gute Nachrichten, Lunzie. Siebtes Geschoß, Promenade B, morgen 13.00.« Mehr nicht, aber sie war schon unterwegs.
Als sie die Tür der Herberge erreichte, wurde ihr der elektronische Schlüssel für ein Einzelzimmer mit Memokubusleser und Datenkanal ausgehändigt. Sie legte ihren Kleidersack aufs Bett und berührte das Sensorpult. Auf dem Wandbildschirm erschien eine Liste mit den verfügbaren Dienstleistungen. Sie konnte einen Partner für Schach oder fürs Bett finden, Waren oder Informationen kaufen (die mit einem Servicezuschlag über ihr Herbergskonto abgerechnet wurden) oder in den medizinischen Datenbanken recherchieren, ohne das Zimmer verlassen zu müssen.
Sie war versucht, eine Nachricht an Sassinak zu schicken. Die Flottenpost, das öffentlich zugängliche Nachrichtensystem für das gesamte Flottenpersonal, würde sie übermitteln. Aber das würde vielleicht unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie lenken. Es war sicherer, wenn sie wartete. Sie hatte fast einen ganzen Standardtag vor sich, bis sie morgen um 1300 jemanden treffen würde (der Ehrwürdige Meister hatte nicht gesagt wen). Sie würde die Zeit nutzen, um unverfängliche Erkundigungen anzustellen und andere Dinge zu tun, die man von ihr erwartete.
Sie gönnte sich eine schmackhafte Mahlzeit in einem Cafe, das heute den Platz einnahm, wo sich vor Jahren eine Bar befunden hatte. Die Musik hatte einen ganz anderen Sound, der sich durch helle Glocken und tiefe Holzbläser hinter einem weiblichen Trio auszeichnete. Als sie wieder in ihrem Zimmer war, schlief Lunzie schnell ein und wachte unbeschwert auf.
Das siebte Geschoß der Promenade B fiel immer noch durch die aprikosenfarben gestreiften Wände auf, die Lunzie das Gefühl gaben, als sei sie in eine Dessertschüssel gefallen. Verschiedene Bezeichnungen, von ›Exotischer Epidemiologie‹ bis ›Medizinischer Hilfsdienst für nicht standardmäßig Kolonien‹, waren für diese Sektion vorgeschlagen worden. Keiner war hängengeblieben. Damals hatte sie jeder das ›Korps der Verschrobenem genannt (und wie Lunzie herausfand, nannte man sie heute noch so). Die offizielle Bezeichnung lautete zur Zeit ›Analyseabteilung für diverse medizinische Daten‹ – aber davon machte kaum jemand Gebrauch.
Lunzie legte am Eingangsschalter ihre Empfehlungen vor. Überraschenderweise erfuhr sie nicht, von wem sie erwartet wurde, statt dessen rief wenig später aus dem Korridor eine fröhliche Stimme nach ihr.
»Lunzie! Die legendäre Lunzie!« Ein großer, bärtiger Mann grinste sie an, während er mit ausgestreckten Händen auf sie zukam. Sie strengte ihr Gedächtnis an, kam aber zu keinem Ergebnis. Wer war dieser Kerl? »Wir haben gehört, daß Sie kommen würden«, fuhr er fort. »Wie lang hat dieser letzte Kälteschlaf gedauert? Dreiundvierzig Jahre? Wieviel macht das insgesamt? Wir können eine Menge Untersuchungen mit Ihnen anstellen.« Sein Gesicht sackte leicht herab, und er betrachtete sie etwas aufmerksamer. »Sie erinnern sich doch an mich, oder?«
Sie wollte
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