Das Generationenschiff
dabei und streckte in einer demütigen Geste, mit der er Sassinak nicht täuschen konnte, die Hände aus. Sie spürte die zunehmende Spannung im Saal. Würde Aygars Anwesenheit die Verschwörer veranlassen, früher oder später ihr Zeichen zu geben? Sie fragten sich wahrscheinlich, welche Überraschungen noch warteten. Dem Delegierten, der die Frage gestellt hatte, war entweder diese Spannung aufgefallen, oder er hatte aufgegeben, weil das Licht erloschen war. Der Chefankläger fuhr damit fort, daß er knapp die Meuterei und den Mordversuch an den Leichtgewichten schilderte.
»Den angeblichen Mordversuch«, unterbrach Vigal.
Der Ankläger lächelte, verbeugte sich und rief nach ›unserer< ersten Zeugin, Dr. Lunzie Mespil.
Eine Welle von Erregung, die Sassinak fast überwältigte, durchlief die Menge. Lunzie hatte es also doch geschafft! Sie sah eine Bewegung im Zeugenbereich, dann eine schlanke Gestalt in der Uniform der Medizinerkorps, die nach vom kam. Sassinaks Puls raste. Lunzie sah so jung, so verletzlich aus, so wie die jüngere Schwester, die Sassinak verloren hatte, vielleicht ausgesehen hätte. Kaum zu fassen, daß sie schon hundert Jahre vor Sassinaks Geburt gelebt hatte.
Lunzie machte ihre Aussage mit einer ruhigen, gemessenen Stimme, die nach und nach Sassinaks Anspannung löste. Dann aber blitzte über einem der Delegierten eine Lampe auf, doch diesmal wurde keine Frage gestellt, sondern ein Einwand erhoben.
»Die Zeugin hat keinen legalen Status! Diese Zeugin ist eine Diebin und eine Lügnerin, eine flüchtige Verbrecherin!«
Sassinak erstarrte und bemerkte, daß Aygar diesmal sie am Handgelenk gepackt hatte und auf ihrem Platz festhielt. Lunzie hatte sich mit blassem Gesicht dem Delegierten zugewandt, der die Anschuldigungen erhob.
»Diese Zeugin hat Kompetenz als Medizinerin vorgetäuscht, um ein Visum für Diplo zu erhalten, und ist später mit wertvollen Informationen entkommen, die für die Sicherheit unseres Planeten von entscheidender Bedeutung sind. Wir verlangen, daß die Aussage dieser Zeugin zurückgewiesen und daß sie an die entsprechenden Behörden übergeben wird, damit ihr auf Diplo der Prozeß gemacht werden kann.«
Weitere Lampen blitzten auf. Als der Ankläger dem Delegierten antworten wollte, wurden weitere Fragen gestellt, Bemerkungen geäußert, und Diskussionen entzündeten sich. Schließlich rief der Vorsitzende die Delegierten zur Ordnung und wandte sich selbst an Lunzie.
»Entspricht diese Anschuldigung der Wahrheit?«
»Nein … im Kern nicht, Sir.«
»In welcher Hinsicht dann?«
»Ich bin mit einem medizinischen Forschungsteam nach Diplo gekommen. Meine Fachkenntnisse und meine Erfahrungen haben mich für die Arbeit qualifiziert. Während meiner Anwesenheit dort wurde ich entführt, bekam Drogen verabreicht und wurde in den Kälteschlaf versetzt. Ich bin hier auf diesem Planeten aufgewacht, ohne zu wissen, auf welchem Wege ich Diplo verlassen habe. Ich wage zu behaupten, daß es tatsächlich illegal war. Ich hoffe sehr, daß es illegal ist, einer Föderationsbürgerin mit einem legalen Visum etwas Derartiges anzutun.«
»Sie lügen, Leichtgewicht!« Der Delegierte von Diplo wartete nicht auf den Übersetzer. Er sprach selber Standard. »Sie haben ein Mitglied unserer Regierung verführt, Memokuben gestohlen und …«
»Ich habe nichts dergleichen getan!« Sassinak war erstaunt über Lunzies Ruhe. Man hätte sie für eine erfahrene Lehrerin halten können, die mit einem ungehorsamen Neunjährigen sprach. »Es stimmt, daß ich einen alten Freund getroffen habe, der in der Zwischenzeit Regierungsbeamter geworden war, aber was das Verführen angeht … Ich darf Sie daran erinnern, daß ich zwischen unseren beiden Begegnungen vierzig Jahre lang im Kälteschlaf gelegen habe. Der gutaussehende junge Mann, an den ich mich erinnerte, war inzwischen alt und krank, dem Tode nah.«
»Ja, inzwischen ist er tatsächlich gestorben.« Es klang gehässig und sollte Lunzie verletzen, und die Andeutungen, die darin mitschwangen, konnten niemandem entgehen.
Sassinak schälte Aygars Finger einen nach dem anderen von ihrem Handgelenk. Er sah sie besorgt von der Seite an, und sie schüttelte leicht den Kopf. Lunzie stand ruhig und ausgeglichen da, offenbar unberührt von dem verbalen Angriff des Delegierten. Hatte sie damit gerechnet? Sassinak glaubte es nicht.
Der Vorsitzende griff wieder ein. »Haben Sie Ihre angebliche Entführung angezeigt?«
»Natürlich. Ich habe das Büro
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