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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Mal. Mittlerweile ist wohl klar, dass »Verhör« noch nicht einmal das richtige Wort für unsere Tätigkeit ist – der Begriff ist ein schwerfälliges Erbe aus der Pubjok-Ära. Wenn der letzte Pubjok endlich in den Ruhestand geht, werden wir beantragen, dass wir in »Amt für Bürgerbiografien« umbenannt werden.
    Atemlos kehrten unsere Praktikanten Q-Ki und Jujack zurück.
    »Die Pubjok sind da«, sagte Q-Ki.
    »Sie haben Kommandant Ga schon in der Mangel.«
    Wir rasten nach oben. Als wir zum Zellentrakt kamen,gingen Sarge und seine Männer gerade. Sarge ist der Leiter der Pubjok, und wir können uns nicht ausstehen. Er hat eine breite Stirn und selbst mit über siebzig noch den Körperbau eines Gorillas. Wir nennen ihn nur »Sarge«; wie er wirklich heißt, weiß ich nicht.
    Er stand in der Tür und rieb sich die Hände.
    »Sich als Volksheld ausgeben«, sagte Sarge kopfschüttelnd. »Wohin soll das noch führen? Hat denn niemand in diesem Land noch einen Funken Ehrgefühl?«
    Sein Gesicht wies ein paar Blessuren auf, und beim Sprechen rieselte ihm Blut aus der Nase.
    Q-Ki fasste sich an ihre Nase. »Sieht so aus, als hätte Kommandant Ga sich ganz gut gegen Sie gewehrt.«
    Was für ein freches Mundwerk, die kleine Q-Ki!
    »Das ist nicht Kommandant Ga«, entgegnete Sarge. »Aber stimmt, er hat uns einen fiesen kleinen Streich gespielt. Den schicken wir heute Nacht in den Sumpf. Dem werden wir zeigen, was eine Harke ist.«
    »Und was ist mit seiner Biografie?«, wollten wir wissen.
    »Hört ihr schlecht?«, fragte Sarge. »Das ist nicht Kommandant Ga, der tut nur so.«
    »Dann werden Sie ja sicherlich nichts dagegen haben, wenn wir unser Glück mit ihm versuchen. Uns interessiert nur die Wahrheit.«
    »Die Wahrheit steht nicht in euren albernen Büchern«, erwiderte Sarge. »Die kann man an den Augen eines Menschen ablesen. Hier, da könnt ihr’s fühlen, in eurem Herzen.«
    Mir tat Sarge im Grunde leid. Er war ein alter Mann mit einem kräftigen Körperbau. Diese Art von Statur konnte nur bedeuten, dass man als Kind Fleisch gegessen hatte, und dazu musste die Familie mit den Japanern kollaboriert haben. Ob er sich nun tatsächlich bei den Japsen lieb Kind gemacht hatteoder nicht: Sein ganzes Leben lang hatte ihm das vermutlich jeder, dem er begegnete, unterstellt.
    »Klar, von mir aus, ihr könnt den Kerl haben«, meinte Sarge. »Wo kämen wir denn hin, wenn wir keine Ehre mehr hätten?«, fügte er hinzu, sagte »wir« aber auf eine Art, die uns von vornherein ausschloss. Er war schon fast weg, drehte sich dann aber noch mal um. »Lasst ihn bloß nicht in die Nähe des Lichtschalters«, warnte er uns.
    Drinnen fanden wir Kommandant Ga auf einem Stuhl. Die Pubjok hatten ihn ganz schön zugerichtet, und er sah weiß Gott nicht mehr aus wie jemand, der Mordkommandos nach Südkorea geführt hatte, um republikflüchtige Großmäuler zum Schweigen zu bringen. Er musterte uns, als prüfe er, ob wir ihn ebenfalls prügeln würden, auch wenn er nicht mehr den Eindruck machte, als würde er sich noch wehren.
    Seine aufgeplatzten Lippen sahen schlimm aus, und in seinen rotgeschwollenen Ohren sammelte sich Flüssigkeit: Die Alten hatten mit ihren schicken lederbesohlten Schuhen draufgehauen. An seinen Fingern waren Erfrierungen von früher, und das Hemd war aufgerissen, sodass auf seiner Brust eine Tätowierung der Schauspielerin Sun Moon sichtbar war. Wir schüttelten den Kopf. Arme Sun Moon. Am einen Arm hatte er außerdem eine sehr lange Narbe, was allerdings nicht bedeuten musste, dass die Gerüchte, Kommandant Ga habe mit einem Bären gerungen, der Wahrheit entsprachen. In seinem Rucksack fanden wir ein Paar schwarze Cowboystiefel, eine Dose Pfirsiche und ein knallrotes Mobiltelefon mit leerem Akku.
    »Wir wollen Ihre Geschichte hören«, sagten wir.
    Die Pubjokfäuste hatten sein Gesicht stark verunstaltet.
    »Ich hoffe, Sie haben nichts gegen ein Happy End«, brachte er heraus.
    Wir halfen ihm in einen Verhörraum und auf einen bequemen Frage-und-Antwort-Stuhl. Als wir ihm ein Schmerzmittel und Wasser gaben, war er im Handumdrehen eingeschlafen.
    Wir verfassten eine kurze handschriftliche Notiz: »Ist nicht Kommandant Ga.« Die steckten wir in eine Rohrpostkapsel, die mit einem Wusch in dem Bunkerkomplex unter uns verschwand, in dem alle Entscheidungen gefällt wurden. Wie tief der Bunker in die Erde ging und wer genau dort unten war, wussten wir nicht. Ich dachte mir immer: Je tiefer, desto besser. Dachten wir uns,

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