Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
meine ich.
Noch bevor wir den Raum verlassen hatten, kam die Kapsel schon wieder zurückgerast und landete in unserem Auffangkörbchen. Als wir sie aufschraubten, stand auf dem Zettel nur: »Ist wohl Kommandant Ga.«
Erst ganz am Ende des Tages, als wir schon unsere Kittel aufhängen wollten, kehrten wir noch einmal zu ihm zurück. Das Gesicht von Kommandant Ga, oder wer er auch sein mochte, war stark zugeschwollen, aber er schien dennoch friedlich zu schlafen. Seine Hände lagen auf seinem Bauch, und es sah aus, als tippe er den Traum mit, den er gerade träumte. Eine Zeitlang starrten wir seine Finger an, konnten uns aber keinen Reim auf das machen, was er da wohl schrieb.
»Wir sind nicht die, die Ihnen weh getan haben«, sagten wir, als wir ihn aufweckten. »Das war eine andere Mannschaft. Beantworten Sie uns eine einfache Frage, dann kriegen Sie ein Zimmer und ein bequemes Bett.«
Kommandant Ga nickte. Uns brannten so viele Fragen unter den Nägeln.
Aber unsere Praktikantin Q-Ki platzte einfach heraus: »Was haben Sie mit dem Leichnam der Schauspielerin gemacht? Wo haben Sie ihn versteckt?«
Wir führten Q-Ki an der Schulter aus dem Verhörzimmer. In der gesamten Geschichte der Abteilung 42 war sie die erste weibliche Praktikantin, und sie war ein Heißsporn, das kann ich Ihnen sagen. Die Pubjok waren außer sich, dass eine Frau mit im Haus war, aber für eine moderne, zukunftsweisende Vernehmungsabteilung würde eine weibliche Verhörspezialistin unerlässlich sein.
»Sie müssen die Sache langsam angehen«, sagten wir zu Q-Ki. »Wir bauen hier ganz allmählich ein Verhältnis auf. Wir wollen ihn nicht in die Defensive drängen. Wenn er uns erst vertraut, wird er seine Biografie praktisch selbst schreiben.«
»Wen juckt schon die Biografie?«, sagte sie. »Sobald wir wissen, wo er die tote Schauspielerin und ihre Kinder verscharrt hat, wird er auf offener Straße erschossen. Schluss, aus.«
» Charakter ist Schicksal «, erinnerten wir sie an Kim Il Sungs berühmten Ausspruch. »Das bedeutet, sobald wir das Innenleben eines Falls aufgedeckt haben und wissen, wie er tickt, dann wissen wir nicht nur, was er getan hat, sondern auch, was er tun wird.«
Ins Verhörzimmer zurückgekehrt, stellte Q-Ki dann widerwillig eine passendere Frage.
»Wie haben Sie die Schauspielerin Sun Moon eigentlich kennengelernt?«, fragte sie.
Kommandant Ga schloss die Augen. »Kalt, so kalt ...«, sagte er. »Beim Lazarett, draußen. Das Lazarett war weiß. Der Schnee fiel in dichten Flocken. Ich konnte kaum sehen. Das Kriegsschiff brannte. Drinnen stöhnten die Menschen. Auf dem Wasser tanzten die Flammen.«
»Hoffnungsloser Fall«, bemerkte Q-Ki.
Sie hatte recht. Wir hatten einen langen Tag hinter uns.Oben, über der Erde, warf das rostrote Nachmittagslicht bestimmt bereits lange Schatten durch die Innenstadt von Pjöngjang. Wir mussten Feierabend machen und nach Hause kommen, bevor der Strom ausging.
»Wartet«, sagte Jujack. »Geben Sie uns irgendwas, Kommandant Ga.«
Dem Klienten schien es Freude zu machen, wenn wir ihn Kommandant Ga nannten.
Jujack ließ noch nicht locker: »Erzählen Sie uns einfach, wovon Sie geträumt haben. Dann bringen wir Sie in ein Zimmer.«
»Ich fuhr in einem Auto«, sagte Kommandant Ga. »Einem amerikanischen Auto.«
»Sehr schön, weiter so«, ermunterte ihn Jujack. »Sind Sie vorher schon mal in einem amerikanischen Auto gefahren?«
Jujack war ein ausgezeichneter Praktikant – der erste Ministersohn, der etwas taugte.
»Ja«, antwortete Kommandant Ga.
»Warum fangen Sie nicht damit an, wie Sie mit dem amerikanischen Auto gefahren sind?«
Zögernd fing er an zu erzählen. »Es ist Nacht. Meine Hand liegt auf der Gangschaltung. Die Straßenlampen sind aus, die Busse sind mit den Fabrikarbeitern aus der Nachtschicht überfüllt und rasen fast lautlos die Chollima-Straße und die Allee der Wiedervereinigung entlang. Sun Moon sitzt neben mir im Auto. Ich kenne mich in Pjöngjang nicht aus. Links , sagt sie. Rechts . Wir überqueren den Fluss, fahren zu ihrem Haus oben auf dem Taesong. Im Traum bin ich davon überzeugt, dass diese Nacht anders wird und sie endlich zulässt, dass ich sie berühre, wenn wir zu Hause sind. Sie trägt einen platinfarbenen Chosŏnot , der wie zerstoßene Diamanten schimmert. Immer wieder rennen Leute in schwarzen Schlafanzügen direkt vor unserem Wagen über die Straße, Leute, die Bündel und Lebensmittel und Arbeit nach Hause schleppen, aber ich drossle
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