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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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was er in seinem Traum sah. Vielleicht war er ja dazu ausgebildet, alles mitzuschreiben, was er hörte . »Gute Nacht, Kommandant Ga«, sagte ich und sah zu, wie seine Hände die vier Worte schrieben, pausierten und auf mehr warteten.
    Ich schluckte selbst eine Beruhigungspille und ließ Kommandant Ga dann allein, damit er sich ausschlafen konnte. Idealerweise würde die Wirkung des Mittels erst einsetzen, wenn ich es ans andere Ende der Stadt geschafft hatte. Wenn alles richtig gut klappte, würde es direkt nach den zweiundvierzig Treppenabsätzen anschlagen.

KOMMANDANT GA versuchte, den Vernehmungsbeamten zu vergessen, auch wenn er seinen nach Gurken riechenden Atem noch lange in der Nase hatte, nachdem der seine Pille geschluckt hatte und gegangen war. Über Sun Moon zu sprechen, hatte neue Bilder von ihr heraufbeschworen, und nur das war wichtig. Er konnte den Film, den der Beamte erwähnt hatte, praktisch vor sich sehen. Eine wahre Tochter des Vaterlands hieß der Film, nicht Nieder mit den Tyrannen . Sun Moon spielte eine Frau von der Südinsel Jeju, die ihre Familie im Stich lässt, um sich dem Kampf gegen die Imperialisten in Inch'ŏn anzuschließen. Jeju, erfuhr man im Film, war berühmt für seine Abalone-Taucherinnen, und in der ersten Szene sind drei Schwestern auf einem Floß zu sehen. Dunkle Wellen mit bimsgrauen Schaumköpfen schaukeln die Mädchen hin und her. Eine Woge, so schwarz wie Kohle, rollt durchs Bild und versperrt einen Moment den Blick auf die Frauen, während brutale Wolken tief über den Vulkanklippen hängen. Sun Moon ist die älteste der Schwestern. Sie bespritzt sich mit Wasser und rückt die Taucherbrille zurecht, während ihre Schwestern über Dorftratsch reden. Dann nimmt Sun Moon einen dicken Stein in die Hand, atmet tief ein und macht eine Rückwärtsrolle vom Floß in das nachtschwarze Wasser. Die zurückbleibenden Schwestern fangen an, über den Krieg und ihre kranke Mutter zu reden und über ihre Angst, Sun Moon könne sie verlassen. In einer vom Mast gefilmten Draufsicht sieht man sie auf dem Floß auf dem Rücken liegen; sie reden wieder von ihren Nachbarn, wer in wen verliebt ist und wer mit wem Streit hat, aber sie wirken nachdenklich. Man spürt deutlich, dass sie bewusst nicht über den herannahenden Krieg sprechen.
    Er hatte diesen Film zusammen mit den anderen angeschaut – projiziert wurde er auf die Seitenwand des Gefängnislazaretts, denn das war das einzige weißgetünchte Gebäude. Es war Kim Jong Ils Geburtstag, der 16. Februar, ihr einziger arbeitsfreier Tag im Jahr. Die Sträflinge hockten auf Holzscheiten, von denen sie das Eis abgeschlagen hatten. Hier sah er sie zum ersten Mal vor sich, eine strahlend schöne Frau, die in die Dunkelheit hinabtaucht und einfach nicht wieder hochkommt. Die Schwestern reden weiter und immer weiter, die Wogen türmen sich auf und überschlagen sich, die Patienten im Lazarett stöhnen schwach, während sich ihre Blutbeutel füllen, und immer noch taucht Sun Moon nicht auf. Er ringt die Hände über ihren Tod, alle Sträflinge ringen die Hände, und obwohl Sun Moon dann irgendwann doch wieder hochkommt, behält sie für den gesamten Rest des Films diese Macht über die Zuschauer.
    Jetzt fiel ihm wieder ein, dass ihm Mongnan in dieser Nacht zum zweiten Mal das Leben gerettet hatte. Es war sehr kalt, kälter als je zuvor; nur die Arbeit hielt sie den ganzen Tag über warm, und im Schnee zu sitzen und einen Film anzusehen, hatte seine Körpertemperatur gefährlich absinken lassen.
    Mongnan tauchte neben seinem Stockbett auf und berührte seine Brust und seine Füße, um zu prüfen, wie viel Leben noch in ihm war.
    »Komm«, sagte sie. »Wir müssen schnell machen.«
    Als er der alten Frau folgte, wollten ihm seine Gliedmaßen kaum gehorchen. Hier und dort bewegte sich jemand auf seiner Schlafstatt, als sie vorbeikamen, aber niemand richtete sich auf, denn zum Schlafen war nie genug Zeit. Zusammenhasteten sie in eine Ecke des Gefängnishofs, die normalerweise grell erleuchtet war und von zwei Männern in einem Turm bewacht wurde. »Der Suchscheinwerfer ist ausgebrannt«, flüsterte Mongnan ihm im Laufen zu. »Sie werden eine Weile brauchen, bis sie eine neue Leuchte auftreiben, aber wir müssen trotzdem schnell machen.« Sie hockten sich in die Finsternis und sammelten alle Motten ein, die tot von der Lampe heruntergefallen waren. »Stopf sie dir in den Mund«, sagte sie. »Deinem Magen ist es egal.« Er tat wie befohlen und kaute

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