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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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den Baracken. Als wir den sterbenden Mann wieder hörten, schüttelten wir den Kopf.
    Warum sage ich ihnen nicht, was sie wissen wollen? , stöhnte der Sterbende so laut, dass seine Stimme durch die Baracke hallte. Was mache ich hier? Was ist mein Verbrechen?
    Wenn du gestattest , sagte Mongnan. Sie legte die Hände um den Mund und stöhnte zurück: Dein Verbrechen ist Ruhestörung!
    Der Sterbende reagierte nicht, sondern stöhnte einfach weiter. Wer bin ich?
    Mongnan machte eine tiefe Stimme und stöhnte: Du bist Duc Dan, der Nervtöter des Lagers. Bitte stirb einfach. Halte den Mund und stirb, und ich verspreche dir, dass ich ein hübsches Abschiedsfoto von dir mache.«
    In der Kantine hieb einer der Pubjok mit der Faust auf den Tisch. »Aufhören!«, brüllte er. »Das reicht jetzt!«
    Kommandant Ga unterbrach seine Erzählung.
    Der alte Vernehmungsbeamte ließ die Hände knacken. »Merkt ihr gar nicht, dass das alles erstunken und erlogen ist?«, fragte er. »Merkt ihr etwa gar nicht, wie dieses Subjekt euch manipuliert? Er redet von Kim Duc Dan und versucht euch weiszumachen, unser Kollege sei im Straflager. Verhörspezialisten kommen nicht ins Straflager! So was ist unmöglich!«
    Noch einer von der alten Garde stand auf. »Duc Dan ist pensioniert«, sagte er. »Wir waren alle bei seiner Abschiedsfeier. Er ist nach Wo˘nsan an den Strand gezogen. Er sitzt nicht im Knast – das ist eine Lüge! Er ist damit beschäftigt, Muscheln zu bemalen. Ihr habt alle die Broschüre gesehen, die er bekommen hat.«
    Kommandant Ga sagte: »Ich bin noch nicht an der Stelle, wo ich Kommandant Ga kennenlerne. Wollen Sie die Geschichte nicht hören?«
    Der erste Verhörspezialist beachtete ihn nicht. »Verhörspezialisten kommen nicht ins Straflager«, wiederholte er. »Duc Dan hat wahrscheinlich die Hälfte der Verbrecher im Straflager 33 verhört, daher kennt dieser Parasit seinen Namen. Sag uns sofort, wo du den Namen her hast! Sag uns, wieso du von seinem milchigen Auge weißt. Gib zu, dass du lügst! Warum sagst du uns nicht die Wahrheit?«
    Der Pubjok mit dem Schuh erhob sich wieder. In seinem sauber geschorenen grauen Haar ringelten sich wulstige Narben. »Ende der Plauderstunde«, sagte er und blickte unser Team mit einer Verachtung an, die keinen Zweifel daran ließ, was er von unseren Methoden hielt. Zu Ga sagte er: »Schluss mit den Märchen! Du sagst uns jetzt, was du mit der Leiche der Schauspielerin angestellt hast, sonst holen wir es aus deinen Fingernägeln raus, beim Blut von Inch'ŏn!«
    Als die alten Männer Kommandant Gas Gesichtsausdruck sahen, packten sie ihn wutentbrannt. Bevor sie ihn wegzerrten, schütteten sie ihm kochend heißen Pu-Erh -Tee auf die Gesichtswunden. Uns blieb nichts übrig, als in unser Büro zu rasen und die Formulare auszufüllen, mit denen wir hofften, ihn zurückzubekommen.

ERST UM MITTERNACHT gab Abteilung 42 unserem Eilgesuch statt. Mit unserer einstweiligen Aufhebungsverfügung in der Hand begaben wir uns hinunter in die von unserem Team nur selten besuchten Folterkammern, um Kommandant Ga zu retten. Die Praktikanten sahen in den Schwitzkästen nach, auch wenn deren rote Lämpchen nicht brannten. Wir überprüften die Zellen zur sensorischen Deprivation und die Auszeit-Kammern, in denen die Häftlinge Erste Hilfe erhalten und wieder zu sich kommen können. Wir hoben die Bodenluke und stiegen die Leiter hinunter in den Sumpf. Da unten lagen viele verlorene Seelen, die aber alle schon zu weit hinüber waren, als dass sie Ga hätten sein können. Trotzdem überprüften wir die Namensschilder an den Fußgelenken und hoben ihre Köpfe an, um ihnen mit der Taschenlampe in die nur langsam reagierenden Pupillen zu leuchten. Mit einer gewissen Beklommenheit sahen wir in einen Raum, der bei der alten Garde »die Werkstatt« heißt. Als wir die Tür aufstießen, war es dunkel – hier und dort glänzte eins der Elektrowerkzeuge auf, die an gelben Druckluftschläuchen baumelten. Als wir den Hauptschalter umlegten, schaltete sich die Abluftanlage ein, und die vielen Reihen Kaltlichtröhren flackerten. In dem klinisch reinen Raum gab es nur Chrom, Marmor und die weißen Wolken unseres eigenen Atems.
    Kommandant Ga fanden wir schließlich in seiner eigenen Zelle. Während wir noch auf der Suche gewesen waren, hatte man ihn ins Bett gelegt und seinen Kopf aufs Kissen gebettet. Jemand hatte ihm das Schlafhemd übergezogen. Mit fragendem Blick fixierte er die gegenüberliegende Wand. Wir

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