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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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lukrativstes Bergwerk – fünf Aufseher bewachen ein Straflager mit fünfzehnhundert Leuten drin. Sie stehen einfach vor dem Tor und gehen nie hinein. Das ganze Gefängnis befindet sich in der Mine, es gibt keine Baracken, keine Küche, kein Lazarett –
    Ich habe doch gesagt, dass ich davon gehört habe. Willst du mir etwa erzählen, dass wir froh sein sollen, dass wir in einem so schönen Lager wie dem hier sind? , fragte ich.
    Mongnan stand auf. Im Zwangsarbeitslager 9 soll es ein Feuer gegeben haben , sagte sie. Die Aufseher haben sich geweigert, das Tor zu öffnen, um die Gefangenen herauszulassen. Alle Insassen sind im Rauch erstickt.
    Ich nickte über die bedrückende Geschichte, erwiderte aber: Du hast meine Frage nicht beantwortet.
    Der Minister kommt morgen, um unsere Mine zu inspizieren. Stell dir mal vor, wie es ihm momentan gehen muss. Stell dir vor, wie viel Kritik der schlucken muss. Sie packte mich an der Schulter. Du darfst bei der Selbstkritiksitzung n icht mit deinen Händen und Füßen schimpfen! Du darfst die Wachsoldaten nicht blöde anglotzen! Du musst aufhören, mit dem alten Mann im Lazarett Debatten zu führen!
    Von mir aus , erwiderte ich.
    Und übrigens, die Antwort auf deine Frage: Warum ich dir helfe, geht dich überhaupt nichts an.
    Wir gingen an den offenen Latrinen vorbei und sprangen über den Wall des Abwasserkanals. Es gab eine Holzpalette, auf der die Leute abgeladen wurden, die in der Nacht gestorben waren, aber heute war sie leer. Als wir vorbeigingen, sagte Mongnan: Mein Stativ kann morgen ausschlafen . Die windstille, klare Nacht roch nach dem Birkenholz, das ein Trupp alter Männer zu Rohrstöcken geschnitten hatte. Schließlich kamen wir zur Zisterne mit dem großen Pumpenrad, das von einem Wasserbüffel gedreht wurde. Das Tier kniete auf einem scharf duftenden Bett aus Birkenrinde. Als es Mongnans Stimme hörte, erhob es sich. Sie flüsterte mir ins Ohr: Die Fischeier, die gibt‘s einmal im Jahr. Ich zeige dir, wann die Kaulquappen im Bach auftauchen und wann die Bäume am Westturm Zuckersaft geben.
    Sie berührte den Büffel an der Nase und tätschelte ihm die schwarze Platte zwischen den Hörnern. Dann gab sie ihm ein Stück wilden Ingwer zu fressen: Er schnaubte laut und zermalmte die Knolle zwischen den Zähnen. Aus den Tiefen ihrer Taschen brachte Mongnan ein Glas hervor. Das hat mir ein alter Mann beigebracht , sagte sie. Er war damals der Älteste im ganzen Lager. Er muss mindestens sechzig gewesen sein, aber er war sehr gut in Form. Ein Tunneleinbruch hat ihn umgebracht, nicht Hunger oder Schwäche. Er war stark, als er gestorben ist.
    Mongnan tauchte unter den Bauch des Bullen, dem es schon lang und rot heraushing. Mit festem Griff massierte sieihn. Der Büffel schnupperte an meinen Händen und suchte nach Ingwer, und ich sah ihm in die feuchten, schwarzen Augen. Vor ein paar Jahren gab es hier einen Mann , sagte Mongnan unter dem Rind, der hatte eine kleine Rasierklinge. Er ritzte dem Bullen die Haut ein, damit er das herauströpfelnde Blut trinken konnte. Das war aber nicht dieser hier. Der Bulle hat kein Theater gemacht, aber das Blut tröpfelte weiter und gerann, und das war dann das Ende des kleinen Mannes. Nach der Bestrafung habe ich seine Leiche fotografiert. Ich habe seine gesamten Kleider nach der Rasierklinge durchsucht, aber ich habe sie nicht entdeckt.
    Der Wasserbüffel schnaubte – mit aufgerissenen Augen und glasigem Blick schwenkte er den Kopf hin und her, als würde er etwas suchen. Dann schloss er die Augen, und kurz darauf tauchte Mongnan wieder auf, das dampfende Glas fast bis zum Rand gefüllt. Mongnan trank die Hälfte mit einem großen Schluck aus und gab es an mich weiter. Ich wollte daran nippen, aber als das erste bisschen Glibber in meiner Kehle war, hing der Rest daran fest, und in einem Rutsch ging alles herunter. Der Wasserbüffel kniete sich wieder hin. Damit bist du drei Tage lang stark wie ein Ochse , sagte sie.
    Wir blickten hinüber zu den Lichtern in den Häusern der Aufseher. Wir schauten in Richtung China. Dieses Regime wird zu Ende gehen , sagte sie. Ich habe es genau studiert, und es kann nicht fortbestehen. Eines Tages werden hier alle Aufseher wegrennen – da, in die Richtung, in Richtung Grenze. Erst wird Unglauben herrschen, dann Verwirrung, dann Chaos und schließlich ein Vakuum. Du musst einen Plan haben. Handle, bevor das Vakuum sich füllt.
    Mit vollem Bauch und vollen Taschen machten wir uns auf den Rückweg zu

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