Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
nur länger gearbeitet, bitte, Kommandant Ga, lassen Sie mich gehen. Da hat er seinen Griff gelockert, blieb aber auf meinem Rücken sitzen. Verdammt noch mal, warum wehren Sie sich nicht gegen eine Mann-Attacke?, brüllte er. Das ist mit Abstand das Schlimmste, das Abscheulichste, was einem Mann passieren kann – danach ist er nicht mal mehr ein Mann. Wie kann jemand nicht bis zum Letzten kämpfen, um das zu verhindern, egal, ob er dabei umkommt ... Es sei denn, man will es so. Es sei denn, man wünscht sich insgeheim die Mann-Attacke und kann deshalb nichts dagegen tun. Tja, Sie kön n en von Glück sagen, dass ich das war und nicht irgendwelche Japaner. Ein Glück, dass ich stark genug war, um Sie zu beschützen. Sie sollten Ihrem Glücksstern danken, dass ich hier war und das Schlimmste verhindern konnte.«
»Und das war’s?«, fragten wir. »Dann war es vorbei?«
Genosse Buc nickte.
»Hat Kommandant Ga Reue gezeigt?«
»Das Letzte, woran ich mich erinnere, war ein weiterer Blitz seiner Kamera. Ich lag mit dem Gesicht am Boden, alles war voller Blut.« Genosse Buc schwieg einen Moment – der ganze Raum war still, bis auf das leise Rieseln von ablaufendem Urin. Dann stellte Buc seine Frage. »Lebt meine Familie noch?«
Das muss man den Pubjok lassen, mit solchen Dingen können sie einfach besser umgehen.
»Ich bin auf das Schlimmste gefasst«, sagte Genosse Buc.
»Die Antwort lautet Nein.« Dann zogen wir Buc aus dem Wasser und ketteten ihn weiter oben wieder an. Wir suchten unsere Sachen zusammen und wollten zurück zur Leiter. Sein Blick war nach innen gekehrt. Das, was sein Gesicht in diesem Moment ausdrückte, war echt, nicht vorgetäuscht. Das hatten wir in der Ausbildung gelernt – aufrichtige Innenschau konnte man nicht vorspielen.
Dann schaute Buc hoch. »Ich möchte mir die Akte ansehen«, sagte er.
Wir hielten ihm den Ordner hin. »Passen Sie auf«, warnten wir ihn. »Da ist ein Foto drin.«
Er wollte zugreifen, zögerte aber.
Wir sagten: »Der Untersuchungsbeamte hat gesagt, dass es wahrscheinlich eine Kohlenmonoxid-Vergiftung gewesen ist. Man fand sie im Esszimmer neben dem Ofen, wo sie völlig überraschend allesamt dahingerafft worden waren.«
»Meine Töchter – hatten sie weiße Kleider an?«
»Nur eine Frage«, erinnerten wir ihn. »Das war unsere Abmachung. Es sei denn, Sie möchten uns erklären, warum Kommandant Ga diese Sache mit der Schauspielerin abgezogen hat.«
Genosse Buc sagte: »Kommandant Ga hat mit der verschwundenen Schauspielerin nichts zu tun – er ist ins Straflager 33 gegangen und nicht wieder rausgekommen. Er ist da unten im Bergwerk gestorben.« Buc legte seinen Kopf schief. »Moment, um welchen Kommandanten Ga geht es hier? Der Kommandant Ga, von dem ich die Narbe habe, ist tot.«
»Sie haben vorhin vom echten Kommandanten Ga gesprochen?«, fragten wir. »Warum sollte sich der falsche Kommandant Ga für etwas entschuldigen, was der echte Kommandant Ga Ihnen angetan hat?«
»Er hat sich entschuldigt?«
»Der Hochstapler hat gesagt, was er Ihnen angetan hat, täte ihm leid. Das mit Ihrer Narbe.«
»Das ist lächerlich«, sagte Buc. »Es gibt nichts, was Kommandant Ga leidtun müsste. Er hat mir meinen größten Wunsch erfüllt, den einzigen, den ich nicht selbst befriedigen konnte.«
»Und was war das?«, fragten wir.
»Er hat den echten Kommandant Ga umgebracht, was sonst!«
Wir schauten uns an. »Er hat also nicht bloß die Schauspielerin und ihre Kinder auf dem Gewissen, sondern auch noch einen KVA-Kommandanten ermordet?«
»Er hat Sun Moon und ihre Kinder nicht umgebracht. Ga hat sie in kleine Vögelchen verwandelt und ihnen ein trauriges Lied beigebracht. Dann sind sie davongeflogen in den Sonnenuntergang, an einen Ort, wo ihr sie niemals finden werdet.«
Plötzlich fragten wir uns, ob das nicht stimmen könnte, dass die Schauspielerin und ihre Kinder irgendwo versteckt waren. Ga war immerhin noch am Leben, oder nicht? Aber wer hatte sie in seiner Gewalt, wo wurde sie festgehalten? Es ist einfach, in Nordkorea jemanden verschwinden zu lassen. Aber ihn dann wieder auftauchen zu lassen – dazu muss man schon zaubern können.
»Wenn Sie uns helfen, finden wir eine Möglichkeit, Ihnen zu helfen«, boten wir Buc an.
»Euch helfen? Meine Familie ist tot, meine Freunde sind tot, ich bin tot. Ich werde euch niemals helfen.«
»Auch gut«, sagten wir und suchten unsere Sachen zusammen. Es war spät, und wir waren fix und fertig.
Mir war aufgefallen,
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