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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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mit den Händen ab, um sicherzustellen, dass sie keinen Schmuck oder andere Gegenstände trug, die die Funktion des Autopiloten beeinträchtigen könnten.
    »Ist es das, was Sie wollen?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Ich bin bereit, meine Beziehung zum Vaterland zu bereinigen«, sagte sie. »Ich bin willens, alles zu tun, um zu beweisen, dass ich eine gute Mitbürgerin bin.«
    Sie hob ihren Kittel bis über die Hüften hoch, sodass ich den dunklen Busch ihres Schamhaares deutlich sehen konnte. Ich war über den Aufbau eines weiblichen Körpers und seiner wichtigsten Funktionen unterrichtet. Und doch hatte ich erst dann das Gefühl, die Situation wieder komplett unter Kontrolle zu haben, als ich die Krankenschwester festgeschnallt und nach hinten gekippt hatte und das Summen des Autopiloten hörte, der die ersten Sondierungen durchführte. Anfangs kommt immer ein unwillkürliches Japsen, eine Verkrampfung des gesamten Körpers, wenn der Autopilot die ersten Stöße verabreicht. Die Krankenschwester hatte den Blick in die Ferne gerichtet, und ich fuhr mit der Hand an ihrem Arm hoch und über ihr Schlüsselbein. Ich spürte, wie die Spannung sie durchlief, und es durchlief auch mich, sodass sich die Haare auf meinem Handrücken aufrichteten.
    Q-Ki hatte mich zu Recht aufgezogen. Ich hatte vieles aus dem Ruder laufen lassen, und hier saß nun unsere kleine Krankenschwester und musste dafür büßen. Wenigstens hatten wir den Autopiloten. Anfangs, als ich in der Abteilung 42 eingestellt wurde, war die vorherrschende Methode zur Reformierung korrumpierter Bürger noch die Lobotomie gewesen. Als Praktikanten mussten Leonardo und ich das oft übernehmen. Die Pubjok griffen sich einfach die nächstbesten Klienten, und wir mussten zu Trainingszwecken gleich ein halbes Dutzend auf einmal behandeln. Außer einem zwanzig Zentimeter langen Nagel brauchte man dafür nichts. Der Klient wurde auf einen Tisch gelegt, dann setzte man sich auf seine Brust. Leonardo stand hinter dem Klienten, hielt seinen Kopf fest und beide Augenlider mit den Daumen auf. Man führte den Nagel oberhalb des Augapfels ein, wobei man darauf achtete, nichts zu zerstechen, und suchte vorsichtig, bis man den Knochen hinten in der Augenhöhle spürte. Und dann versetzte man dem Nagel einen guten Stoß mit dem Handteller. War der Knochen erst einmal punktiert, bewegte der Nagel sich frei im Gehirn. Das weitere Verfahren war einfach: So weit wie möglich einführen, leichte Drehbewegung nach links, leichte Drehbewegung nach rechts, bei dem anderen Auge wiederholen. Ich war ja kein Arzt oder so, versuchte meine Bewegungen aber akkurat und glatt auszuführen, nicht brutal wie die Pubjok, die sich mit ihren lädierten Händen bei solcher Feinarbeit wie die Affen anstellten. Ich fandheraus, dass grelles Licht von oben am humansten war, da die Klienten geblendet waren und nicht sehen konnten, was auf sie zukam.
    Uns wurde immer gesagt, es gebe ganze Kollektive von Gehirnamputierten, in denen ehemalige Subversive nun fröhlich zum Wohl aller arbeiteten. Die Realität sah aber anders aus. Einmal begleitete ich Sarge, um einen Wächter in einem dieser Kollektive zu verhören, da trug ich meinen Kittel erst seit einem Monat. Was wir dort fanden, war beileibe keine vorbildliche landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaft. Die Arbeiter stammelten vor sich hin und führten stumpfsinnig immer wieder dieselbe Handbewegung aus. Sie rechten dasselbe Stück Land unzählige Male und füllten stumpf Löcher zu, die sie gerade erst ausgehoben hatten. Es war ihnen gleichgültig, ob sie nackt oder bekleidet waren, und sie entleerten sich überall hin. Sarge regte sich ungemein über die grenzenlose Trägheit der Gehirnamputierten, über ihre kollektive Faulheit auf. Das Sirenensignal, das einen Heldentag der Arbeit ankündigte, bedeutete ihnen rein gar nichts, sagte er, und den Juche-Geist in ihnen zu entfachen erwies sich als unmöglich. Er sagte: »Sogar Kinder wissen ja wohl, wie man spurt!«
    Was einem aber wirklich auf ewig im Gedächtnis bleibt, das sind die ausdruckslosen Gesichter dieser Leute. Dieser Ausflug lieferte für mich den Beweis, dass das System kaputt war, und ich beschloss, dass ich eines Tages eine Rolle dabei spielen würde, es zu verbessern. Und dann kam der Autopilot, entwickelt von einer Denkfabrik tief unten im Bunker, und ich war mehr als willens, ihn im praktischen Einsatz zu testen.
    Der Autopilot ist ein hoch entwickeltes, vollautomatisches elektronisches

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