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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Wunder. Damit wird keiner brutal unter Stromgesetzt, wie es die Pubjok mit ihren Autobatterien tun. Der Autopilot funktioniert in Harmonie mit dem Geist, er misst die Gehirnströme und reagiert auf Alphawellen. Jedes Bewusstsein besitzt eine elektrische Handschrift, die von den Algorithmen des Autopiloten erlernt wird. Man stelle sich dessen Sondierungen als Konversation mit dem Gehirn vor, als Tanz mit der Identität eines Menschen. Ja, genau, man stelle sich einen Bleistift und einen Radiergummi vor, die munter über ein Blatt Papier tanzen. Der Bleistift bringt alles aufs Papier – Worte, Zeichen, Krakel füllen das Blatt; der Radierer misst, vermerkt, folgt dem Bleistift auf dem Fuße und hinterlässt nichts als weißes Papier. Die Krakel während des nächsten Krampfs sind vielleicht intensiver und verzweifelter, aber kürzer, und wieder folgt der Radierer. Im Gleichschritt tanzen sie weiter, das Ich und der Staat, nähern sich einander immer stärker an, bis der Bleistift und der Radierer nahezu eins geworden sind, sich in völliger Harmonie miteinander bewegen, und die Linie verschwindet, noch bevor sie aufs Papier trifft, die Worte werden ungeschrieben gemacht, noch bevor die Buchstaben sich geformt haben, und schließlich gibt es nur noch Weiß. Von den Stromstößen bekommen viele unserer männlichen Klienten eine gewaltige Erektion, ich glaube also nicht, dass die Erfahrung nur negativ ist. Aber zurück zu meiner Krankenschwester. Sie durchlief mittlerweile die Tiefen des Zyklus. Durch ihre Zuckungen war der Kittel wieder nach oben gerutscht, und ich zögerte, ihn ihr wieder herunterzuziehen. Vor mir lag ihr geheimes Nest. Ich beugte mich vor und atmete tief ein, inhalierte den sirrenden Duft, der von ihr aufstieg. Dann lockerte ich ihre Halterungen und drehte das Licht aus.

MORGENNEBEL hing in der Luft, als Kommandant Ga das nachgebaute Texas erreichte. Die bewaldeten Hügel ringsum sorgten dafür, dass die Wachtürme und die Abschussrampen der Boden-Luft-Raketen außer Sicht blieben. Sie befanden sich hier flussabwärts von Pjöngjang, und der Taedong war zwar nicht zu sehen, aber man roch den grün und mächtig dahinströmenden Fluss mit jedem Atemzug. Vor kurzem hatte es geregnet; vom Gelben Meer war ein vorzeitiger Monsunschauer landeinwärts gezogen. Angesichts des schlammigen Bodens und der triefenden Trauerweiden schien jeder Vergleich mit der texanischen Wüste weit hergeholt.
    Ga parkte den Mustang und stieg aus. Vom Gefolge des Geliebten Führers war noch nichts zu sehen. Lediglich Genosse Buc war da – er saß allein an einem Picknicktisch, vor sich einen Karton. Er winkte ihn zu sich herüber, und Ga sah, dass jemand englische Initialen in die Planken der Tischplatte geritzt hatte. »Bis ins letzte Detail«, war sein Kommentar.
    Buc nickte zu dem Karton hinüber. »Ich habe eine Überraschung für dich.«
    Als Kommandant Ga den Karton betrachtete, überkam ihn der Verdacht, darin könne sich etwas befinden, was einmal dem echten Kommandanten Ga gehört hatte. Keine Ahnung, was – ob eine Jacke oder ein Hut –, oder wie es in Bucs Hände gelangt war.
    »Mach du auf«, forderte er Buc auf.
    Genosse Buc entnahm dem Karton ein Paar schwarze Cowboystiefel.
    Ga nahm sie, wendete sie hin und her – dasselbe Paar, das er in Texas anprobiert hatte.
    »Wie bist du da drangekommen?«
    Anstelle einer Antwort grinste Buc nur; er war stolz darauf, dass er jeden beliebigen Gegenstand an jedem beliebigen Ort der Welt auftreiben und nach Pjöngjang schaffen lassen konnte.
    Ga zog seine eleganten Herrenschuhe aus; die hatten eigentlich seinem Vorgänger gehört und waren ihm mindestens eine Nummer zu groß. Er fuhr mit den Füßen in die Cowboystiefel, und sie saßen perfekt. Buc hob einen von Kommandant Gas Schuhen auf und betrachtete ihn.
    »Er hat immer ein fürchterliches Theater um seine Schuhe gemacht«, meinte Buc. »Ich musste sie ihm aus Japan besorgen. Japanische Schuhe mussten es sein!«
    »Was machen wir damit?«
    »Das sind richtig edle Schuhe«, meinte Buc. »Auf dem Schwarzmarkt würden sie ein kleines Vermögen bringen.«
    Doch dann warf er sie achtlos in den Dreck.
    Gemeinsam schritten die beiden Männer die Anlage ab; sie kontrollierten, ob alles für die Inspektion durch den Geliebten Führer bereit war. Der japanische Planwagen wirkte ziemlich echt, und mit Angelruten und Sensen waren sie mehr als reichlich ausgestattet. In einem Bambuskäfig in der Nähe des Schießstands wand sich

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