Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
ich endlich meine Ruhe haben.
»Das sind Grubenottern«, sagte Q-Ki.
»Unmöglich«, meinte Jujack. »Die gibt es nur in den Bergen.«
Q-Ki drehte sich aufgebracht zu ihm um. »Mit Giftschlangen kenne ich mich aus.«
Als in der Ferne ein Blitz aufzuckte, waren die Umrisse im Geäst deutlich zu sehen – zischend warteten die Schlangen auf arglose Bürger, die lediglich ihrer Pflicht nachkamen, um sich dann auf sie fallen zu lassen.
»Eine Schlange ist so beschissen wie die andere«, sagte ich. »Wir provozieren sie einfach nicht.«
Wir sahen uns um, aber von einer Feuerstelle oder einem Pferch war nichts zu sehen. Kein Planwagen, keine Pistolen, keine Angeln und auch keine Sensen.
»Wir sind hier falsch«, sagte Jujack. »Lasst uns abhauen, bevor wir vom Blitz erschlagen werden.«
»Nein«, sagte Q-Ki. »Wir graben.«
»Wo?«, fragte Jujack.
»Überall«, antwortete Q-Ki.
Jujack trat das Schaufelblatt in den aufgeweichten Boden. Mühsam brachte er eine Schaufelvoll Matsch hoch; sofort war das Loch voll Wasser gelaufen. Als er die Schaufel umdrehte, blieb der Dreck kleben.
Regen schlug mir ins Gesicht. Ich wendete die Karte hin und her, um zu prüfen, ob ich mich geirrt hatte. Bäume, Fluss, Straße – eigentlich mussten wir hier genau richtig sein. Was wir brauchten, war ein Hund aus dem Zoo. Es heißt, mit ihrem ungezähmten Instinkt könnten sie jeden Knochen finden, auch wenn er noch so lange vergraben war.
»Hier können wir nichts finden«, sagte Jujack. »Alles ist voller Wasser. Wo ist der Tatort? Hier ist absolut nichts zu sehen.«
»Das könnte sogar von Vorteil sein«, sagte ich. »Wenn in dem Schlamm eine Leiche steckt, könnte das Wasser sie vielleicht hochtreiben. Wir müssen lediglich überall den Boden lockern.«
Also machte sich jeder allein auf und stocherte nach irgendwelchen Hinweisen auf eine vergrabene Schauspielerin im Boden herum.
Eine Schaufel Schlamm nach der anderen kippten wir um. Jedes Mal sah ich den Erfolg vor Augen, jedes Mal spürte ich, dass die Entdeckung direkt bevorstand – ich würde die Schauspielerin als Hebel einsetzen können, um Kommandant Ga seine Geschichte zu entlocken, und dann würde seine Biografie mir gehören, mit Gas wahrem Namen in Gold auf dem Buchrücken, und dann würde ich das Büro von Sarge übernehmen. Der Regen fiel unablässig, und mir kam eine markige Bemerkung nach der anderen in den Sinn, die ich von mirgeben würde, während Sarge seine traurigen Habseligkeiten in einen alten Hungerhilfekarton packte, um mein neues Büro zu räumen.
Endlich – ein Ereignis, das in meine Biografie aufzunehmen sich lohnte, so schien es mir.
Die Fahrer der Krähe beobachteten uns durch die Windschutzscheibe. Es war inzwischen so dunkel, dass wir die Enden ihrer Zigaretten rot aufglühen sahen. Als meine Arme müde wurden, wechselte ich die Schaufel von rechts nach links. Jeder Knochen, auf den ich traf, entpuppte sich als Baumwurzel. Würde doch nur ein Seidenfetzen hochtreiben, oder ein Schuh. Immer wieder verbissen sich die Aale in der Schlammbrühe in irgendwelche Dinge; irgendwas mussten sie doch entdeckt haben, und so begann ich immer dort zu graben, wo sie mit den Zähnen zuschlugen und um unsichtbare Beute rangen. Jeder Klumpen Matsch deprimierte mich weiter, und bald erinnerte der Tag weniger an das Leben, das ich mir wünschte, als an jenes, das ich sowieso schon führte – eine einzige Plackerei, für nichts und wieder nichts, ein Misserfolg nach dem anderen. Es war wie meine Zeit an der Uni – als ich ankam, fragte ich mich, welche von diesen Tausenden von Frauen wohl für mich bestimmt war, doch nach und nach dämmerte mir die Antwort: Nicht eine. Nein, den heutigen Tag würde ich bestimmt nicht in meine Biografie aufnehmen.
Im Dunkeln hörte ich nur eins: Q-Kis Ächzen, wenn sie ihr ganzes Gewicht einsetzte, um die Schaufel in den Boden zu rammen. Schließlich rief ich in die Dunkelheit: »Das war’s, wir ziehen ab.«
Als Q-Ki und ich bei der Krähe anlangten, stellten wir fest, dass Jujack schon drinsaß.
Wir waren durchweicht, unsere Zähne klapperten, und anden Händen hatten wir Blasen von den nassen Holzstielen. Selbst die Fußsohlen schmerzten, weil wir die Schaufeln tausend Mal in den Matsch getrieben hatten.
Auf dem ganzen Rückweg zur Abteilung 42 nahm Q-Ki kein einziges Mal den starren Blick von Jujack.
»Du hast gewusst, dass sie nicht da ist, richtig?«, fragte sie ein ums andere Mal. »Du hast was gewusst, und du hast
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