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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Quadrat abwenden, wo seine Tätowierung von Sun Moon gewesen war. Es war viel Blut geflossen – es tropfte überall vom Tisch –, doch jetzt trat nur noch eine durchsichtige Flüssigkeit wie Tränen aus der Wunde und lief in rosa Rinnsalen an seinen Rippen herunter.
    »Ich brauche einen Verband«, stöhnte er.
    Ich sah mich im Raum um, fand aber nichts.
    Ein Schaudern überlief seinen Körper, dann folgten mehrere tiefe Atemzüge, die ihm große Schmerzen bereiteten. Ein seltsames Lachen voller Höllenqualen drang aus ihm hervor.
    »Sie haben nicht mal nach Sun Moon gefragt«, sagte er.
    »Das heißt wohl, dass Sie gewonnen haben.«
    Sein Kiefer verkrampfte sich vor Schmerzen, sodass er nur nicken konnte.
    Er atmete schnell und flach, dann sagte er: »Sollten Sie je die Wahl haben zwischen Kommandant Park mit einem Kartonagenmesser –« Er biss die Zähne zusammen. »Und einem Hai ...«
    Ich legte ihm die Hand auf die schweißnasse Stirn.
    »Dann lieber den Hai, stimmt’s? Hören Sie«, sagte ich. »Sagen Sie nichts. Sie brauchen nicht witzig zu sein. Sie brauchen nicht Genosse Buc zu ersetzen.«
    Wie ich merkte, verursachte ihm der Name mehr Elend als alle Schmerzen.
    »So sollte es nicht kommen. Buc sollte nicht mit reingezogen werden.«
    »Denken Sie jetzt nur an sich«, beruhigte ich ihn.
    Der Schweiß rann Ga in die sorgenvollen Augen.
    »Ist es Buc so ergangen wie mir?«, fragte er.
    Ich trocknete ihm die Augen mit meinem Hemdzipfel.
    »Nein«, sagte ich. »Buc ist seinen eigenen Weg gegangen.«
    Ga nickte mit zitterndem Kinn.
    Sarge kam grinsend herein. »Und, was sagst du jetzt zum großen Kommandanten Ga? Du weißt ja, das ist der gefährlichste Mann im ganzen Land.«
    »Das ist nicht der echte Kommandant Ga«, erinnerte ich Sarge. »Das ist einfach nur ein Mann.«
    Sarge kam auf den Tisch zugestiefelt.
    Kommandant Ga verkrampfte sich und drehte seinen Kopf so weit es ging von Sarge weg.
    Doch Sarge kam noch näher und beugte sich über Ga, als wolle er die Wunde von Nahem betrachten. Grinsend sah er zu mir hoch. »Ja, ja. Unser guter Kommandant hier hat das Schmerztraining durchlaufen.« Darauf atmete Sarge tief ein und blies Ga ins offene Fleisch.
    Der Schrei, der folgte, gellte mir in den Ohren.
    »Er sagt jetzt gern aus«, versicherte mir Sarge. »Und du kriegst dein schönes Geständnis.«
    Ich blickte Kommandant Ga an, der flach und bebend atmete.
    »Aber was ist mit seiner Biografie?«, bedrängte ich Sarge.
    »Du weißt ja, dass das die letzte Biografie wird, nicht wahr?«, sagte er zu mir. »Die Ära ist vorbei. Aber tu, was du nicht lassen kannst, solange wir sein Geständnis in Händen halten, wenn er im Morgengrauen ins Stadion gebracht wird.«
    Ich nickte, und Sarge ging.
    Ich betrachtete Kommandant Ga aus der Nähe. Immer wieder überliefen ihn Schauer von Gänsehaut. Er war kein Held. Er war ganz einfach ein Mann, der mehr eingesteckt hatte, als irgendeinem Menschen je zugemutet werden sollte. Als ich ihn jetzt ansah, verstand ich das Märchen vom kleinen Waisenkind, das Honig von den Klauen des Geliebten Führers leckt. In jener Nacht, als Ga uns das erzählt hatte, war unser Team zum letzten Mal vollzählig gewesen.
    »Ich lasse nicht zu, dass der Bär Sie kriegt«, versprach ich ihm. »Ich lasse das nicht zu, was die mit Ihnen vorhaben.«
    Ga hatte Tränen in den Augen. »Verband«, war das Einzige, was er sagen konnte.
    »Ich muss nur kurz was erledigen«, sagte ich zu ihm. »Dann bin ich wieder da und rette Sie.«
    *
    Am Wohnblock Heiliger Ahnenberg Paektu angekommen, rannte ich ausnahmsweise einmal nicht die zweiundvierzig Treppenabsätze hoch zu meinen Eltern. Ich stieg die Stufenlangsam hoch und spürte die Anstrengung in jedem Schritt. Das Brandeisen wollte mir einfach nicht aus dem Sinn. Ich sah es vor mir, wie es rotglühend Blasen auf Kommandant Gas Haut warf, stellte mir vor, wie es auf den dicken Rücken der alten Pubjok blasses Narbengewebe hinterließ, ich sah Q-Kis perfekten Körper davon entstellt, ein Brandmal vom Hals bis zum Nabel, zwischen den Brüsten, über den Bauch und tiefer. Ich benutzte meine Pubjok-Marke nicht, um in den Wagen mit den reservierten Sitzen zu kommen. Ich setzte mich zu den normalen Bürgern, und ich konnte nicht anders: Auf all ihren Körpern las ich auf einmal »Eigentum von« in wulstigen rosa Lettern. Jeder trug das Brandzeichen, endlich erkannte ich das. Es war die ultimative Pervertierung des kommunistischen Traums, mit dem ich

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