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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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einem Mann, der eine große Liebe für sie empfindet, eine Liebe, die er sein ganzes Leben in sich getragen hat, und es macht ihm nichts aus, dass er erst eine lange Reise zurücklegen muss, um zu ihr zu gelangen, und es macht nichts, dass sie nur eine kurze Zeit miteinander verbringen können, dass er sie hinterher vielleicht verliert, denn sie ist die Blume seines Herzens, und nichts wird sie auseinanderbringen.«
    »Der Mann in dem Lied – bist du das?«, fragte sie.
    »Ja. Das weißt du doch.«
    »Aber ich bin nicht die Frau in dem Lied«, sagte sie. »Ich bin keine Schauspielerin oder Sängerin und auch keine Blume. Ich bin einfach nur eine Frau. Willst du diese Frau kennenlernen? Willst du der einzige Mann der Welt sein, der die echte Sun Moon kennt?«
    »Ja, das will ich, das weißt du doch.«
    Sie hob ihren Körper ein wenig, damit er ihr letztes Kleidungsstück abstreifen konnte.
    »Weißt du, was aus den Männern wird, die sich in mich verlieben?«, fragte sie.
    Ga dachte darüber nach.
    »Sie werden in einen Tunnel gesperrt und kriegen zwei Wochen lang nichts als dünne Suppe zu essen?«
    »Nein«, neckte sie ihn.
    »Hmm«, rätselte Ga weiter. »Dein Nachbar versucht, sie mit vergifteten Lebensmitteln umzubringen, und dann kriegen sie vom Fahrer des Geliebten Führers eins auf die Nase?«
    »Nein.«
    »Ich geb’s auf. Was wird aus den Männern, die dir verfallen?«
    Sie schob sich mit ihrer Hüfte unter die seine.
    »Sie hören nie auf zu fallen«, sagte sie.

NACHDEM WIR Jujack verloren hatten und Q-Ki zu den Pubjok übergelaufen war, hielt ich mich von der Abteilung 42 fern. Ich weiß noch, dass ich durch die Stadt streifte, aber wie lange? Eine ganze Woche? Und wo? Lief ich ziellos den Spazierweg des Volkes entlang und sah den Vögeln zu, die verzweifelt flatternd an den Schlingen zerrten, in denen ihre Füße hingen? War ich Dauergast im Kumsusan-Mausoleum und starrte endlos in Kim Il Sungs Glassarg, in dem der einbalsamierte Leichnam unter den Konservierungslampen rot leuchtete? Oder sah ich dem Kinderhäscher zu, der als Eismann verkleidet die Gassen Pjöngjangs von kleinen Bettlern säuberte? Habe ich ein einziges Mal daran gedacht, wie ich Jujack bei der Karrieremesse an der Kim-Il-Sung-Universität rekrutierte, wo ich mit Krawatte und Anzug erschienen war und dem jungen Mann unsere Farbbroschüren zeigte und erläuterte, dass Verhöre nichts mehr mit Gewalt zu tun hätten, dass es um intellektuelle Finten und Finessen ging, dass unsere Waffe das kreative Denken sei und nichts weniger als die nationale Sicherheit auf dem Spiel stand? Vielleicht saß ich im Mansu-Park und sah zu, wie die jungfräuliche Jungschar Feuerholz hackte, bis die Uniformen der Mädchen von Schweiß troffen? Musste ich nicht an diesem Punkt auch darüber nachgedacht haben, dass ich allein dastand, dass es mein Team nicht mehr gab, meine Praktikanten weg waren, meine Erfolge zunichtegemacht waren, und mit ihnen auch meine Hoffnung auf Liebe, Freundschaft und Familie? Vielleicht war mein Kopf auch ganz leer, als ich mich für Busse anstellte, in die ich nicht einsteigen wollte, und vielleicht machte es mirauch nichts mehr aus, als ich zu einer Sandsackbrigade eingeteilt wurde. Oder vielleicht lehnte ich mich auch die ganze Zeit auf dem hellblauen Leder des Frage-und-Antwort-Stuhls zurück und malte mir das alles nur aus? Und was war mit meinem Gedächtnis los? Warum erinnerte ich mich nicht, wie ich diese letzten, schlimmen Tage verbracht hatte, und warum berührte es mich nicht, dass ich keine Erinnerung an sie hatte? Ich wollte es so, oder nicht? War vergessen nicht viel besser als leben?
    *
    Als ich schließlich zur Abteilung 42 zurückkehrte, war ich nervös. Ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwarten würde. Doch alles schien seinen gewohnten Gang zu gehen. An der großen Tafel standen neue Fälle, und über den Schwitzkästen leuchteten die roten Lämpchen. Q-Ki kam mit einer neuen Praktikantin im Schlepptau vorbei.
    »Da sind Sie ja wieder, wie schön!«, rief sie mir zu.
    Sarge war ganz besonders jovial. »Da ist ja unser Vernehmungsbeamter wieder«, sagte er. »Gut, dass du wieder dabei bist.« Es klang, als spiele er auf mehr als nur meine Abwesenheit während der vergangenen Tage an.
    Auf der Werkbank lag ein großes Metallobjekt.
    »Hallo, Sarge«, sagte ich.
    »Sarge?«, fragte er. »Wer ist das?«
    »Genosse, meine ich«, verbesserte ich mich.
    »So lob ich’s mir«, sagte Sarge.
    In diesem Augenblick

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