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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Eingeborenen und Göttern und eigener Sprache.
    An der Langleine hingen ein Zackenbarsch, dessen Bäckchen sie sofort roh verspeisten, und eine Schildkröte, die man nur selten an den Haken bekam. Die Schildkröte musste einen ganzen Tag lang köcheln, aber den Fisch brieten sie gleich im Ganzen und zupften das Fleisch mit den Fingern von den Gräten. Auch ein Tintenfisch hing an der Leine, doch der Kapitän duldete ihn nicht an Bord. Er hatte ihnen schon zig Mal Vorträge über Tintenfische gehalten. Er hielt den Kraken für das intelligenteste Meerestier und den Riesenkalmar für das gefährlichste.
    Als die Sonne unterging, zogen sie die Hemden aus und rauchten. Führerlos schaukelte die Junma auf den Wellen, Bojen rollten lose über Deck, und die Kabel und Galgen glühten orange im letzten, lodernden Abendlicht. Das Fischerleben war ein gutes Leben – kein unerreichbares Fabriksoll zu erfüllen, keine Lautsprecher, aus denen den ganzen Tag Regierungsdurchsagen tönten. Dem Militärspion an Bord misstrauten sie zwar, dafür bekamen sie jetzt aber wenigstens ausreichend Treibstoffcoupons für die Junma . Wenn Jun Do das Schiff in eine Richtung lenkte, in der sie kaum Fische fingen, gab es zusätzliche Lebensmittelmarken für alle.
    »Na, Dritter Maat«, meinte der Steuermann. »Wie geht’s unseren Mädchen?«
    So nannten sie Jun Do manchmal im Spaß: Dritter Maat.
    »Sie haben schon fast Hokkaid¯o erreicht«, erzählte Jun Do. »Jedenfalls letzte Nacht. Sie rudern täglich dreißig Kilometer.«
    »Sind sie immer noch nackt?«, fragte der Maschinist.
    »Nur das Mädchen, das im Dunkeln rudert«, antwortete Jun Do.
    »Um die Welt rudern«, sinnierte der Zweite Maat. »Das machen nur sexy Frauen. Es ist so sinnlos, so anmaßend. Nur heiße Amerikanerinnen würden auf die Idee kommen, dass man gegen die Welt siegen kann.« Der Zweite Maat konnte allerhöchstens zwanzig sein. Die Tätowierung der Frau auf seiner Brust war frisch, und man sah deutlich, dass sie eine Schönheit war.
    »Wer hat gesagt, dass sie sexy sind?«, fragte Jun Do, obwohl er sich die beiden auch so vorstellte.
    »Ist doch klar«, sagte der Zweite Maat. »Ein heißes Mädchen glaubt, sie kann tun und lassen, was sie will. Glaub’s mir, ich hab jeden Tag mit so was zu tun.«
    »Wenn deine Frau so ein heißer Feger ist«, fragte der Maschinist, »warum ist sie dann nicht als Hostess nach Pjöngjang geschafft worden?«
    »Ganz einfach«, antwortete der Zweite Maat. »Ihr Vater wollte nicht, dass sie als Bardame oder Hure in Pjöngjang endet. Deswegen hat er zugesehen, dass sie für die Arbeit in der Fischfabrik eingeteilt wird. So ein schönes Mädchen, und dann komm ich daher.«
    »Wer’s glaubt, wird selig«, sagte der Erste Maat. »Es wird schon seinen Grund haben, warum sie nicht an den Hafen gekommen ist, um sich von dir zu verabschieden.«
    »Lass ihr ein bisschen Zeit«, sagte der Zweite Maat. »Sie hat sich noch nicht damit abgefunden. Das wird schon noch.«
    »Hokkaid¯o «, sagte der Steuermann. »Im Sommer ist das Eis da oben noch schlimmer. Die Schollen brechen auf und werden von der Strömung herumgewirbelt. Das unsichtbare Eis unter Wasser, das bringt dich um.«
    Dann fing der Kapitän an zu erzählen. Überall auf seinem bloßen Oberkörper waren russische Tätowierungen zu sehen. Schwer wirkten sie im schräg einfallenden Sonnenlicht, als würden sie seine Haut nach unten ziehen. »Der Winter da oben. Da gefriert einfach alles. Sogar die Pisse in deinem Schwanz und der Fischdreck in deinem Bart. Du willst ein Messer hinlegen und kannst es nicht loslassen. Einmal waren wir beim Fischeausnehmen, da ist das Schiff auf einen Eisberg aufgelaufen. Es hat das ganze Boot erschüttert, wir sind alle in die Innereien gefallen. Wir haben auf dem Boden in der glitschigen Scheiße gelegen, und das Eis ist am Schiff vorbeigeschrammt und hat Riesendellen in den Rumpf gedrückt.«
    Jun Do betrachtete die Brust des Kapitäns. Die Tätowierung seiner Frau war zu einem verwaschenen Aquarell verblasst. Als das Schiff des Kapitäns eines Tages nicht in den Hafen zurückkehrte, hatte seine Frau einen Ersatzmann bekommen, und jetzt war der Kapitän allein. Außerdem waren die Jahre, die er im Gefängnis gesessen hatte, auf seine Lebensarbeitszeit draufgeschlagen worden; für ihn würde es keinen Ruhestand geben. »Die Kälte kann ein Schiff zusammendrücken«, erzählte der Kapitän. »Das ganze Ding zieht sich zusammen, die Türrahmen, die Schlösser,

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