Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Demokratischen Volksrepublik, nicht wahr?«
Der Minister schüttelte ablehnend den Kopf. Graue Bartstoppeln zierten sein Gesicht, und die Brauen hingen ihm buschig über die Augen.
»Ganz wie Sie meinen, Herr Minister«, erwiderte Dr. Song. »Aber ein kräftiger, gutaussehender Bursche ist er schon, richtig?«
Der Minister bestätigte das mit einem Kopfnicken.
Dr. Song sagte: »Bald werden wir alle mehr Zeit miteinander verbringen, was meinen Sie?«
Der Minister zuckte die Achseln. Vielleicht, vielleicht auch nicht , sagte sein Blick.
Damit war das Gespräch beendet.
Als sie sich entfernten, flüsterte Jun Do: »Welcher Minister ist das denn?«
»Treibstoff und Reifendruck«, sagte Dr. Song lachend. »Nein, er ist mein Fahrer. Aber keine Bange, der Mann hateigentlich alles auf der Welt gesehen, was es zu sehen gibt. Er ist stark. Seine einzige Aufgabe auf dieser Reise ist, den Mund zu halten und auf das Nicht wahr? , Richtig? und Was meinen Sie? am Ende meiner Fragen glaubwürdig zu reagieren. Das hast du ja mitgekriegt, wie ich ihm die richtige Reaktion vorgegeben habe, richtig? Da sind die Amerikaner erst mal beschäftigt, während wir unsere Trickkiste auspacken.«
»Amerikaner?«, fragte Jun Do.
»Haben die Fahrer dir denn gar nichts erzählt?«, fragte Dr. Song zurück.
Das Flugzeug schwenkte am Ende des Rollfelds herum und begann zu beschleunigen. Jun Do klammerte sich am nächsten Sitz fest.
Genosse Buc sagte: »Ich glaube, unser Held ist noch nie geflogen.«
»Ist das wahr, du bist noch nie geflogen?«, fragte Dr. Song. »Dann setz dich, wir heben gleich ab.«
Mit der Förmlichkeit eines hohen Beamten wies Dr. Song ihnen Sitzplätze an. »Da ist dein Sicherheitsgurt«, sagte er zu Jun Do. »Ein Held darf selbst entscheiden, ob er ihn anlegen will oder nicht. Ich bin alt und brauche keine Sicherheit, aber Sie, Genosse Buc, Sie müssen den Gurt schließen. Sie sind jung, Sie haben Frau und Kinder.«
»Na, wenn Sie darauf bestehen«, erwiderte Genosse Buc und ließ den Verschluss einrasten.
Die Iljuschin erhob sich in den Westwind und zog dann in nördlicher Richtung hoch, sodass die Küste an Steuerbord lag. Jun Do sah den Schatten des Flugzeugs auf dem Wasser zittern; dahinter erstreckte sich das Meer weit und blau. Die Gewässer, in denen er mit dem Kapitän der Junma gefischt hatte, sah er nicht, dafür aber die Meeresströmungen, auf denen er zu den immer wieder nervenaufreibenden Einsätzennach Japan geschippert war. Das Schlimmste war immer der lange Rückweg gewesen, wenn die Entführten unten im Laderaum schrien und polterten und versuchten, sich von ihren Fesseln zu befreien. Er ließ den Blick durch die Kabine schweifen und stellte sich vor, auf einem der Sitze wäre ein Entführungsopfer festgeschnallt. Er vermutete, dass er einen Amerikaner kidnappen und dann sechzehn Stunden mit ihm zusammen in diesem Flugzeug verbringen sollte.
»Ich glaube, Sie haben sich den falschen Mann für Ihr Vorhaben gesucht«, sagte Jun Do. »Vielleicht haben Sie meiner Personalakte entnommen, dass ich ein Entführungsexperte bin. Ich habe zwar eine ganze Reihe von Einsätzen erfolgreich durchgeführt, und die wenigsten Entführungen unter meinem Kommando sind tödlich ausgegangen. Aber inzwischen bin ich ein anderer. Mit diesen Händen drehe ich jetzt nur noch an Radioknöpfen. Die können nicht mehr das, was Sie von ihnen erwarten.«
»Wie naiv und ernsthaft er ist«, schwärmte Dr. Song. »Finden Sie nicht auch, Genosse Buc?«
Genosse Buc sagte: »Gut gewählt, Dr. Song. Die Amerikaner werden ganz aus dem Häuschen sein über so viel Aufrichtigkeit.«
Dr. Song wandte sich Jun Do zu: »Bei diesem Einsatz wirst du Worte benutzen, junger Mann, keine Fäuste.«
Genosse Buc erläuterte: »Dr. Song ist auf dem Weg nach Texas, um den Grundstein für zukünftige Gespräche zu legen.«
»Das werden die Vorgespräche vor den eigentlichen Verhandlungen«, führte Dr. Song aus. »Keine Formalitäten, keine Delegation, keine Fotos, keine Leibwachen – wir öffnen nur potenzielle Kanäle.«
»Gespräche worüber?«, wollte Jun Do wissen.
»Das Thema spielt doch keine Rolle«, erwiderte Dr. Song. »Nur die Haltung zählt. Die Yankees wollen ein paar Dinge von uns. Wir wollen auch etwas von ihnen – und ganz besonders, dass sie aufhören, unsere Fischerboote zu entern. Wie du weißt, setzen wir die Fischerboote für viele wichtige Aufgaben ein. Und du kannst dann im richtigen Augenblick die Geschichte deines
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