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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Traum von ihrem Mann erinnerte. Die Junma ließ sich leicht zwischen den anderen Schiffen ausmachen, da selbst kleine Heckwellen vorbeifahrender Boote sie von Bug bis Heck zum Schaukeln brachten. Bald würde sie wieder auslaufen, die Netze waren zurück an Bord. Wenn Jun Do die Augen zukniff und mit der Hand beschattete, konnte er eine Gestalt an der Reling erkennen, die hinunter ins Wasser blickte. Außer dem Kapitän starrte keiner so ins Wasser.
    Ein schwarzer Mercedes kam sehr langsam über den schmalen Fischkarrenpfad und das Gras im Hof geholpert. Er hielt unten vor dem Haus an, zwei Männer in blauen Anzügen stiegen aus.
    »Ich fasse es nicht«, sagte sie. »Es ist tatsächlich so weit.«
    Die Männer beschatteten ihre Augen und starrten hoch zum Wohnblock.
    Das Knallen der zuschlagenden Wagentüren weckte die Hunde; sie schüttelten sich. Die Frau wandte sich Jun Do zu. »Es ist so weit!« Sie eilte in Richtung Eisentür und Treppenhaus davon.
    Als Allererstes zog sie ihr gelbes Kleid an, und diesmal brauchte Jun Do nicht die Augen zuzumachen. Sie rannte inder Einzimmerwohnung umher und warf Dinge in ihren Koffer.
    »Ich kann’s nicht fassen, dass sie schon da sind«, sagte sie. Sie sah sich mit einem Gesichtsausdruck im Zimmer um, als fiele ihr partout nicht ein, was sie wirklich einpacken musste. »Ich bin noch nicht so weit. Ich habe mir noch nicht die Haare schneiden lassen. Ich bin noch lange nicht so weit!«
    »Mir ist nicht egal, was aus dir wird«, sagte Jun Do. »Ich kann nicht zulassen, dass sie dir so was antun.«
    Sie holte Kleidungsstücke aus einer Kommode. »Sehr lieb von dir«, sagte sie. »Du bist lieb, aber das hier ist meine Zukunft, ich muss gehen.«
    »Du musst dich verstecken«, redete Jun Do auf sie ein. »Vielleicht können wir dich zu deinem Vater bringen. Er weiß bestimmt, was zu tun ist.«
    »Bist du verrückt?«, fragte sie. »Er ist schuld daran, dass ich hier festsitze.«
    Sie drückte ihm einen Stoß Wäsche in die Hand.
    »Es gibt noch was, was ich dir hätte sagen sollen«, meinte er.
    »Was denn?«
    »Der alte Verhörspezialist. Er hat die Männer beschrieben, die sie für dich ausgesucht haben.«
    »Was für Männer?«
    »Deine Ersatzehemänner.«
    Sie hörte auf zu packen. »Es gibt mehr als einen?«
    »Der eine ist Lagerkommandant in Sinpo. Der andere ist alt, ein pensionierter Parteifunktionär unten in Chongwang. Der Verhörspezialist wusste nicht, welcher von beiden dich kriegt.«
    Sie blickte ihn verwirrt an. »Da muss ein Missverständnis vorliegen.«
    »Wir schaffen dich einfach hier raus«, sagte er. »Dann gewinnst du ein bisschen Zeit, bis sie wiederkommen.«
    »Nein«, sagte sie und fixierte ihn mit ihrem Blick. »Du kannst doch etwas tun, du bist ein Held, du hast Einfluss. Dir können sie nichts ausschlagen.«
    »Ich glaube nicht, dass es so läuft«, erwiderte er.
    »Sag ihnen, sie sollen verschwinden, weil du mich heiratest.«
    Es klopfte an der Tür.
    Sie hielt seinen Arm fest. »Sag ihnen, dass du mich heiratest«, wiederholte sie.
    Er blickte in ihr Gesicht, das so verletzlich aussah – so hatte er sie noch nie gesehen.
    »Du willst mich nicht heiraten«, sagte er.
    »Du bist ein Held. Und ich bin die Frau eines Helden. Du brauchst nur zu mir zu kommen.« Sie fasste den Saum ihres Kleides und hielt den Rock vor sich auf wie eine Schürze. »Du bist das Kindlein im Baum, vertrau mir, spring.«
    Er ging an die Tür, zögerte aber, bevor er öffnete.
    »Du hast von der Bestimmung meines Mannes gesprochen«, sagte sie. »Was ist mit deiner? Was ist, wenn ich deine Bestimmung bin?«
    »Ich weiß nicht, ob ich eine Bestimmung habe«, antwortete er. »Aber dein Ziel, das kennst du doch ganz genau – das ist Pjöngjang, und nicht ein kleiner Funker aus Kinjye. Unterschätz dich nicht – du kommst immer irgendwie durch.«
    »So wie du?«, fragte sie.
    Er sagte nichts.
    »Weißt du, was du bist?«, sagte sie. »Du bist ein Überlebenskünstler, der nichts hat, wofür es sich zu leben lohnt.«
    »Und was wäre dir lieber – dass ich für etwas sterbe, das mir wichtig ist?«
    »Mein Mann hat das getan«, antwortete sie.
    Die Tür wurde gewaltsam von außen geöffnet. Es waren die beiden Männer von unten. Die vielen Stufen hatten ihnen offenbar zugesetzt. »Pak Jun Do?«, fragte der eine, und als Jun Do nickte, sagte der Mann: »Sie müssen mitkommen.«
    Der andere fragte: »Haben Sie einen Anzug?«

DIE MÄNNER IM ANZUG fuhren mit Jun Do an den Fabrikgleisen

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