Das geraubte Paradies
ursprünglich aus den Brutlaboren der Erdenwacht, ist eine Invitro der neuen Generation. Ein unwahrscheinliches Schicksal hat sie nach Arcadion verschlagen, wo sie erst vor wenigen Monaten erfuhr, dass ihre Herkunft ein Geheimnis umrankt. Gemeinsam haben wir versucht, dieses Geheimnis zu lüften, und es führte uns zum Rand der Schwarzen Zone, wo wir getrennt wurden. Ich weiß, dass sie noch lebt. Sie kämpft mit einigen rebellischen Wächtern und freiheitsliebenden Invitros gegen das Regime der Erdenwacht an. Aber ohne uns, ohne Hilfe von außen, kann sie nicht gewinnen. Ihre Gruppe wird scheitern, sie wird wie alle anderen versklavt werden, und ich werde sie niemals wiedersehen. Das kann ich einfach nicht zulassen! Ich könnte es nicht ertragen.«
Flehend blickte er in die Runde. »Bitte! Helfen Sie mir bloß, eine Raketenlafette oder eine Kanone zu reparieren, mit der ich das Bollwerk am Südeingang des Tals durchbrechen kann, damit ich hineinkomme, um Carya zu retten. Niemand von Ihnen muss mit mir kommen und kämpfen. Ich gehe auch allein. Aber ich schaffe es nicht, allein diese Maschinen in dem Depot zu reparieren.«
Diese offenen Worte schienen mehr Eindruck zu machen als alle davor. Zögernd sahen sich die Invitros an. Diesen Moment wählte Enzo, um aufzuspringen. »Was ist denn hier auf einmal los? Wollt ihr mich alle beschämen, dieser Gemeinschaft anzugehören? Wir sind Soldaten, verdammt! Wir sind Techniker! Wir sind Spezialisten, jeder für sein Fachgebiet. Wir haben unsere Arbeit nicht bloß vor vierzig oder fünfzig Jahren gut gemacht, wir sind auch heute noch gut darin. Und was uns vor allem auszeichnet, ist unsere Disziplin, unsere Hartnäckigkeit, unser Mut. Ich bin niemals vor einer Herausforderung davongelaufen. Ich habe mich ihr gestellt und sie gemeistert. Oft genug war die Sache, um die es ging, lachhaft gering. Diese Sache hier ist so groß, wie wir sie haben wollen. Es geht um den Sieg über einen Tyrannen, der die ganze Welt als Geisel genommen hat. Es geht um die Freiheit unserer Brüder und Schwestern in diesem Tal. Es geht um diesen feinen jungen Mann, Jonan Estarto, der ein Mensch ist und eine Invitro so sehr liebt, dass er bereit ist, für sie jedes Opfer zu bringen. Und, oh ja, ich habe mit diesem Kerl schon gekämpft. Ich weiß, wovon ich spreche. Also lasst mich verdammt nochmal nicht der Einzige sein, der Jonan begleitet, wenn er diese Insel wieder verlässt. Denn das wäre wirklich eine Schande.«
Enzo warf noch einen herausfordernden Blick in die Runde, dann setzte er sich wieder. »So, das musste mal gesagt werden«, brummte er.
Kapitel 37
Ein kühler Wind strich über den abendlichen See und gemahnte daran, dass es Herbst wurde. Jonan stand mit hochgezogenen Schultern auf dem Bootspier und wartete darauf, dass die Invitros, die sich nach seiner und Enzos Rede eine Aussprache hinter verschlossenen Türen ausbedungen hatten, zu einer Entscheidung kamen. Er vermochte nicht zu sagen, ob Enzo und er zu ihnen durchgedrungen waren. Die Invitros lebten einfach schon zu lange im Exil. Die Geschicke der Welt, die niemals wirklich gut mit ihnen umgesprungen war, kümmerten sie wenig. Außerdem schien das Alter ihre Bereitschaft, für eine neue Ära zu streiten, gedämpft zu haben.
Daran, dass alle Inselbewohner zur Generation von Jonans Großeltern gehörten, die schon vor Jahren im Licht Gottes aufgegangen waren, hatte er überhaupt nicht gedacht. Die Invitros der alten Garde, die er bislang getroffen hatte – Mondo Laura, Enzo, womöglich der Mondkaiser –, waren Männer voller Energie und Tatendrang gewesen. Aber vielleicht zählten sie zu den Ausnahmen.
Hinter Jonan waren Schritte auf dem Pier zu vernehmen, und Enzo gesellte sich zu ihm, begleitet von Elje, die den alten Exsoldaten ins Herz geschlossen zu haben schien. Enzo hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und blickte versonnen aufs Wasser hinaus.
»Und? Haben wir sie überzeugt?«, wollte Jonan wissen. Irgendwie hatte er seine Zweifel daran, trotz Enzos flammender Abschlusspredigt. Er versuchte, das Gefühl der Enttäuschung nicht in seine Stimme einfließen zu lassen, konnte das jedoch nicht völlig verhindern.
»Nicht alle«, erwiderte Enzo mit ernster Miene.
»Sind es genug, um die Reparaturen noch zu schaffen? Wir haben nicht mehr viel Zeit, wie Sie wissen.« Genau genommen mussten sie sich in maximal vierundzwanzig Stunden im Norden befinden, denn dann konnte die Rakete jede Minute startbereit
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