Das geraubte Paradies
wieder. Und dann in größerer Zahl. Daher sollten wir verschwinden. Kommt mit zu mir.«
Er griff nach Jonans Templersturmgewehr, und der Umstand, dass Jonan selbst nur schwach protestierte, bewies, wie schlecht es ihm ging. An seiner Stelle streckte Carya die Hand aus. »Das trage ich«, sagte sie, und versuchte, ihre Stimme dabei so fest wie möglich klingen zu lassen.
Ihr Retter wog die Waffe in einer Hand. »Es ist ziemlich schwer, und der Weg zu meiner Hütte anstrengend.«
»Das ist mir gleichgültig. Geben Sie es mir.«
Denier zögerte erneut und warf ihr dabei einen merkwürdigen Blick zu. Carya befürchtete schon, mit dem Mann um das Gewehr, das praktisch alles darstellte, was ihnen geblieben war, kämpfen zu müssen. Doch dann zuckte er mit den Schultern und reichte es ihr. »Sicher. Wenn du meinst.« Und als hätte er Caryas Gedanken gelesen, fügte er hinzu: »Ich bin kein Dieb, falls es das ist, was du befürchtest. Ansonsten hätte ich die Waldmenschen euch töten lassen – und hätte danach erst zugeschlagen.«
Verlegen erkannte Carya, dass er damit recht hatte. Aber da sie selbst unbewaffnet war, Pitlit seinen Revolver leer geschossen hatte und Jonan mit seinen Verletzungen kämpfte, fühlte sie sich im Augenblick erschreckend verwundbar. Sie musste einfach misstrauisch sein, auch gegenüber einem möglichen Wohltäter. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Wir haben gerade so viel verloren …«
Er nickte. »Schon in Ordnung. Junge …«
»Ich heiße Pitlit«, stellte Pitlit klar.
»Auch gut: Pitlit. Hilf mir mal mit eurem Freund. Wir müssen ihn stützen. Alleine wird er sich kaum auf den Beinen halten können.«
»Geht schon«, murmelte Jonan und winkte schwach ab. »Bloß eine Stichwunde.« Er versuchte sich aufzurichten, kam allerdings ins Taumeln und hielt sich an Denier fest, der ihm eine kräftige, braun gebrannte Hand anbot. Mit Erschrecken sah Carya das Blut, das Jonans linke Gesichtshälfte, seine Hand und die rechte Seite seiner Lederjacke besudelte. Es machte einen schlimmen Eindruck.
»Jonan«, sagte sie eindringlich, wobei sie versuchte, die Sorge, die sie plagte, nicht zu sehr auf ihre Stimme abfärben zu lassen, »spiel nicht den Helden. Es ist nicht nötig, dass du dich umbringst, nur weil du zu stolz bist, um Hilfe anzunehmen.«
Jonan schloss kurz die Augen und atmete tief aus und ein. »Ja, das wäre wirklich dumm«, gestand er. »Diesmal streite ich nicht.«
»Los«, drängte Denier. »Reden können wir später.«
Der Einsiedler führte sie den Hügel hinauf und anschließend auf schmalen, bisweilen kaum zu erkennenden Trampelpfaden quer durch den Wald. Die Bäume, schlanke, braungrüne Nadelgewächse, wuchsen nun dichter, und auch das Unterholz nahm zu. Carya fragte sich, ob Denier diesen mühsamen Weg nur einschlug, um ihre Verfolger abzuschütteln, oder ob er tatsächlich im tiefsten Dickicht seine Hütte errichtet hatte.
»Gibt es keinen einfacheren Weg?«, beschwerte sich Pitlit, der hinter Denier und Jonan in der Mitte ihrer kleinen Gruppe lief und dadurch immer wieder niedrig hängende Äste abbekam.
»Natürlich gibt es den«, antwortete ihr Retter. »Aber er ist im Moment nicht sicher. Der hier ist besser.«
»Sind wir denn wenigstens bald da?«
»Ja, bald. Es ist ungefähr noch einen Kilometer entfernt.«
Sie erreichten eine alte Landstraße, die sich durch den Wald zog und völlig überwuchert war. Denier folgte ihr kurz in Richtung Süden, bevor er sich mit ihnen wieder in den Wald schlug. Sie marschierten durch einen etwas lichter wirkenden Streifen, dann einen kleineren Waldweg entlang, der nicht einmal geteert war, und schließlich erklommen sie einen flachen Hügel, an dessen Fuß die Nadelbäume von schlanken, mit Efeu überwucherten Laubbäumen abgelöst wurden.
»Bleibt ab jetzt zusammen«, befahl Denier ihnen. »Wir nähern uns meiner Hütte. Ich habe überall im Wald Fallen aufgestellt. Die wollt ihr nicht auslösen.«
»Fallen?«, wiederholte Carya. »Wofür das? Gibt es hier große Wildtiere?«
»Das weniger. Sie sind für ungebetene Gäste gedacht.«
»Haben Sie die häufiger?«
Ihr Retter schenkte ihr ein grimmiges Lächeln. »Bislang nicht. Aber man weiß ja nie, was noch kommt.«
Auf der Hügelkuppe befand sich etwas, das auf den ersten Blick kaum aus der Landschaft herausstach, ein efeubedeckter, von Sträuchern umgebener Höcker, der sich erst beim Näherkommen als gut versteckte Holzhütte entpuppte. Neben der Hütte kam eine
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