Das geraubte Paradies
betrachtete.
»Ja, anscheinend handelt es sich um eine Überlandstraße, die den Osten von Francia mit dem Norden des Arcadischen Reichs verbindet«, pflichtete Jonan ihr bei.
Pitlit ließ sich auf das Bett fallen, auf dem zuvor Carya und Jonan gesessen hatten. Die Beine lang ausgestreckt und den Oberkörper auf den Ellbogen aufgestützt, sah er zu ihnen herüber. »Sagt mal, haben wir eigentlich so was wie einen Plan, was wir machen wollen, wenn wir ankommen? Ich meine, jetzt ist es ja nicht mehr weit. Wir können schließlich nicht einfach in die Schwarze Zone spazieren. Hat doch sicher seinen Grund, warum noch nie jemand von dort zurückgekehrt ist.«
Seufzend lehnte Carya sich an den Tisch. Über diese Frage hatte sie in den letzten Tagen auch mehrmals nachgegrübelt, ohne nennenswerte Ergebnisse zu erzielen. »Da wir überhaupt nicht wissen, was uns erwartet, ist das mit dem Pläneschmieden nicht so einfach.« Sie wandte sich an Jonan. »Was erzählt man sich noch mal in der Templerakademie über diese Gegend?«
»Es heißt, nach dem Sternenfall sei ein geheimes Experiment schiefgelaufen«, antwortete Jonan achselzuckend. »Seitdem hängt eine Art schwarze Wolke zwischen den Bergen. Daher rührt der Name Schwarze Zone. Die ganze Region ist Sperrbereich, weil einen dort mit Sicherheit der Tod erwartet. Genaueres ist mir leider auch nicht bekannt.«
»Hast du noch nie von einem Soldaten gehört, der die Schwarze Zone betreten hat?«, wollte Pitlit wissen. »Ich dachte, in der Gegend wird seit Jahren gekämpft.«
»Lucai – ihr wisst schon: mein Freund bei der Tribunalpalastgarde – hat mal von einem gehört, dessen Einheit auf Patrouille war und sich im dichten Nebel in die Schwarze Zone verirrt haben soll. Er selbst war an dem Tag krank und deshalb nicht dabei. Im Nachhinein hat er sich glücklich geschätzt. Von seinen Kameraden ist nie wieder gehört worden.«
»Oh, Mann …« Pitlit zog die Ellbogen weg und ließ Kopf und Oberkörper geräuschvoll auf die quietschende Matratze zurückfallen. Schicksalsergeben starrte er zur rissigen Decke ihrer Bleibe.
Carya richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Jonan. »Hast du irgendeine Vermutung, worauf wir uns einstellen müssen?«
»Nun ja.« Jonan machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wir dürfen nicht vergessen, dass die Erdenwacht sich in der Schwarzen Zone verbirgt. Das behauptet zumindest Paladin Alecander. Es könnte also sein, dass einiges, was man sich über die Zone erzählt, bloße Fehlinformationen sind, die als Abschreckung dienen sollen, damit sich niemand dorthin wagt und die Wacht entdeckt. Die Geschichte von der tödlichen schwarzen Wolke, die zwischen den Bergen hängt, kann ich beispielsweise nur schwer glauben. Der Wind müsste sie in den Jahren seit dem angeblichen Unfall längst verweht haben. Seit wir um die Existenz der Erdenwacht wissen, bezweifle ich auch, dass die Schwarze Zone eine echte Todeszone ist. Wenn dort dermaßen viel Strahlung in der Luft läge, wäre das kein Ort, an dem sich jemand jahrzehntelang verstecken will.«
In einer Geste der Hilflosigkeit hob er die Arme. »Aber das ist alles Spekulation. Sicher wissen wir es erst, wenn wir dort sind. Insofern gebe ich dir recht. Es fällt schwer, vorab Pläne zu schmieden. Insbesondere da wir ja auch nicht gerade mit Ausrüstung gesegnet sind. Natürlich wäre mir wohler, wenn wir Schutzkleidung besäßen und Atemmasken und unseren Navigator, mit dem jetzt Mustard seinen Spaß hat. Aber die haben wir nun mal nicht, und ich sehe auch keine Möglichkeit, an solche Sachen heranzukommen, wenn wir nicht nach Paris oder Arcadion zurückkehren wollen, um ein Militärdepot zu überfallen. Also bleibt uns letzten Endes nur, vorsichtig und wachsam zu sein – und zu hoffen, dass es irgendeinen Weg in die Zone hinein gibt, der nicht den Einsatz eines Raketenflugzeugs erfordert.«
»Tja, jetzt wäre es praktisch, wenn wir ein Raketenflugzeug hätten, nicht wahr?« Die Hände in die Hüften gestemmt blickte Pitlit zu dem gewaltigen Gebirgsmassiv auf, das sich vor ihnen hoch in den strahlend blauen Himmel erhob. An den Flanken zogen sich dunkelgrüne Tannenwälder hinauf, doch die Gipfel ragten als nackter, schroffer Fels in die Höhe. Schnee, der wie Puderzucker auf die scharfen Grate gestreut dalag, glitzerte im Schein der Mittagssonne.
Carya konnte nicht anders, als ihm zuzustimmen. Über die großen Handelsstraßen quer durch Francia zu wandern war bereits eine Herausforderung und
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