Das geraubte Paradies
Infrarotlichtquelle glücklicherweise nicht beeinträchtigte. Doch selbst wenn das grüne Bild vor seinem rechten Auge dunkler geworden wäre, hätte Jonan unmöglich das Hindernis übersehen können, das vor ihm plötzlich den Tunnel versperrte.
»Das ist nicht gut«, murmelte er, als er das Gewehr senkte und im Restlicht, das vom Tunneleingang hereinschien, den Blick hin und her schweifen ließ. Vor ihm befand sich eine gewaltige Metalltür. Die massive Bauart weckte in Jonan Erinnerungen an Panzertüren von Bunkeranlagen. Er fand einen Griff und zog probehalber daran. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter weit. Das musste nicht einmal bedeuten, dass sie tatsächlich verriegelt war. Womöglich wog sie schlicht eine halbe Tonne, und die Scharniere waren im Laufe der Jahrzehnte völlig eingerostet. Aber vielleicht war sie auch wirklich zusätzlich von innen verschlossen, damit niemand durch den Tunnel den Ort erreichte, der sich dahinter verbarg.
Nur um sicherzugehen, rief Jonan die anderen zu sich und gestattete Carya, Pitlit und Elje, sich an der Tür zu versuchen. »Uffza, unmöglich«, kommentierte der Straßenjunge, nachdem er ein wenig an etwas herumgefuhrwerkt hatte, das er für ein neben dem Griff eingelassenes Türschloss hielt. »Um diese Tür aufzukriegen, bräuchten wir einen Panzer.«
»Ja, das hatte ich befürchtet«, sagte Jonan.
»Das heißt, wir kommen hier nicht weiter?«, fragte Carya enttäuscht.
»Es sieht so aus«, antwortete Jonan. »Dieser Weg ist uns versperrt.« Enttäuscht wandte er sich ab. »Ein Gutes hat das Ganze immerhin«, fügte er hinzu, als sie sich auf den Rückweg nach draußen machten.
»Und das wäre?«
»Wir wissen jetzt, dass wir uns in der richtigen Gegend befinden. Irgendetwas befindet sich hinter dieser Gebirgskette. Ansonsten wäre der Tunnel nicht so gut geschützt worden.«
»Das ist ja ausgesprochen hilfreich«, entgegnete Carya nicht ohne Sarkasmus in der Stimme. »Leider ist der Weg
unter
dem Berg versperrt und den Weg
über
den Berg schaffen wir ohne die richtige Ausrüstung nie. Ach, und mit vermutlich auch nicht.«
Sie drängten sich durch das Gestrüpp und ließen die falsche Pflanzenwand wieder an ihren Platz zurückfallen. Wenn möglich sollte niemand bemerken, dass sie jemals hier gewesen waren. »Zeig mir noch mal diese Postkarte«, bat Jonan Carya. »Es muss doch weitere Wege geben.«
Sie reichte sie ihm und er begutachtete sie im hellen Licht der Mittagssonne. »Hm, also da die Straße einmal quer durch die Schwarze Zone führt und dann oberhalb von Torino wieder aus den Bergen kommt, könnten wir es an diesem südlichen Zugang versuchen. Bis dahin sind wir zugegeben sicher noch einmal eine Woche unterwegs. Außerdem marschieren wir der arcadischen Armee direkt entgegen, was nun wirklich keine erstrebenswerte Aussicht ist.«
»Hast du noch eine andere Idee?«, wollte Carya wissen. »So kurz vor dem Ziel werde ich jedenfalls nicht aufgeben.«
Jonan wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir bis nach Torino zu wandern brauchen. Es muss Pässe über diese Berge geben, auch wenn sie auf dieser Postkarte natürlich nicht eingezeichnet sind.« Er senkte die Karte und hob den Blick zu dem Gebirgsmassiv zu ihrer Linken. »Ich schlage vor, wir halten uns in der Nähe der Berge und wandern so in einem Bogen nach Südosten. Und sobald wir einen Weg entdecken, der uns vielversprechend aussieht, nehmen wir ihn.«
»Einverstanden«, sagte Carya. »Ich hoffe bloß, wir stoßen zwischendurch auf eine Siedlung, und sei es ein Dorf von Ausgestoßenen. Ansonsten werden wir unsere Gürtel ziemlich eng schnallen müssen, bis wir unser Ziel erreichen.«
Jonan erlaubte sich ein schiefes Grinsen. »Wahrscheinlich werden wir uns noch wünschen, den Truppen des Lux Dei in die Arme zu laufen. Denn bei allem Ärger, den das bedeuten mag: Zumindest gibt es dort etwas Besseres zu essen als Pilze, Kaninchen oder Baumrinde.«
»Nein, danke«, erwiderte Carya düster. »Ich habe die Gastfreundschaft des Lux Dei einmal genossen. Das reicht mir für den Rest meines Lebens.«
Kapitel 11
Da sie so weit oben am Berg keinen Weg fanden und sich auch nicht mitten durch die Wildnis schlagen wollten, begaben sie sich zunächst hinunter zum Fuß der Gebirgskette, auch wenn das bedeutete, dass sie ein Stück der Strecke zurücklaufen mussten, die sie zuvor mühsam bergauf gewandert waren.
Als sie wieder unten waren, dunkelte es bereits, sodass sie sich in einer
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