Das geraubte Paradies
geschlagen. »Hinter diesem Gestrüpp verbirgt sich ein Tunnel! Und was für ein Ding!«
Nun tauchte auch Elje neben ihm wieder auf. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet und ihre Augen ganz groß, während sie Carya und Jonan näher winkte.
Als sie das Gestrüpp erreicht hatten, erkannte Carya, dass die Sträucher in der Tat nicht auf der steinigen Erde des Hangs wuchsen, sondern wie ein dichter Vorhang vor einer dunklen Öffnung hingen.
»Los«, sagte Pitlit aufgeregt. »Sehen wir uns um.«
»Halt, langsam ihr zwei«, ermahnte Jonan den Straßenjungen und das Mädchen. »Dieser Tunnel ist nie und nimmer zufällig so dicht zugewachsen. Jemand hat ihn absichtlich verborgen. Schaut mal her.« Er trat an das Strauchwerk und zog es ein wenig auseinander. Darunter wurde ein olivgrünes Geflecht erkennbar, das eindeutig künstlichen Ursprungs war. »Ein Tarnnetz. Dieser Eingang wurde so präpariert, dass er im Laufe der Jahre zuwuchern und wie ein völlig natürlicher Teil des Berges aussehen sollte. Und wenn ich dreimal raten dürfte, würde ich darauf tippen, dass unsere Freunde von der Erdenwacht dafür verantwortlich sind. Das bedeutet, wir sollten ab jetzt verdammt vorsichtig sein. Und es bedeutet auch, dass ich vorgehe und mit der Restlichtverstärkeroptik meines Gewehrs diesen Tunnel erst einmal in Augenschein nehme, bevor ihr darin herumtollt.«
»Oha, in Ordnung.« Pitlit verzog verlegen das Gesicht. Dann setzte er eine strenge Miene auf und wandte sich an Elje. »Hast du gehört: Nicht im Tunnel herumrennen! Es könnten tödliche Fallen darin verborgen sein.«
»Na, das wollen wir mal nicht hoffen«, brummte Jonan, während er das Gewehr aus dem Einkaufswagen nahm, den sie noch immer als provisorisches Transportmittel mit sich führten. Lange würde er nicht mehr seinen Dienst verrichten. Die Rollen waren für derartige Strecken auf rauem Asphalt nicht gemacht. Aber solange er sich noch bewegte, nutzten sie die Möglichkeit, ihr Gepäck nicht selbst tragen zu müssen.
»Ihr wartet hier«, schärfte Jonan Carya, Pitlit und Elje ein. »Und diesmal bitte keine Diskussion. Wir haben nur dieses eine Nachtsichtgerät, und wenn wir alle da drinnen im Dunkeln herumtappen, ist das wenig hilfreich.«
»Wir warten gespannt auf deine Rückkehr, nicht wahr, Kinder?«, erwiderte Carya gespielt artig – als wäre nicht Jonan derjenige gewesen, der in der letzten Zeit gerne mal unsinnige Diskussionen anfing.
»Absolut«, pflichtete Pitlit ihr mit treuem Hundeblick bei.
Elje blickte verwirrt von einem zum anderen, bevor auch sie nickte.
»Ihr seid so blöd«, murmelte Jonan seufzend und wollte sich gerade abwenden, als Pitlit sich noch einmal zu Wort meldete. »He, Jonan.«
»Hm?«
Der Straßenjunge zog seinen Revolver aus dem Gürtel und hielt Jonan die Waffe hin. »Nur zur Sicherheit. Mit deinem Gewehr kannst du Gegner ja bloß noch erschrecken.«
Mit dankbarem Nicken nahm Jonan den Revolver entgegen und schob ihn in seinen Hosenbund. Dann drehte er sich um und trat durch das Gestrüpp.
Der Tunnel erwies sich als gewölbte Röhre von vielleicht zehn Metern Breite und vier Metern Höhe. Die Wände mochten einst weiß gewesen sein, die Decke war schwarz. Auf der Fahrbahn ließen sich verblasste Markierungen erahnen. Von den Lampen, die über Jonans Kopf in die Tunnelverkleidung eingelassen waren, funktionierte natürlich keine einzige.
Langsam, Schritt für Schritt, pirschte er sich vorwärts, das Templersturmgewehr im Anschlag und das rechte Auge an das Okular der Restlichtverstärkeroptik gepresst. Das grüne, leicht körnige Bild erschwerte das Erkennen von Einzelheiten innerhalb des Tunnels, aber Jonan befand sich nicht auf seinem ersten Kampfeinsatz.
Kampfeinsatz,
dachte er sarkastisch. Himmelfahrtskommando traf es eigentlich besser. Es gab sicher nicht viele Soldaten in den Reihen des Lux Dei, die so verrückt waren, nur mit einem Revolver und einem leer geschossenen Sturmgewehr in die Festung eines Feindes vorzudringen, der über Raketenflugzeuge, hochwertige Funkanlagen und Pistolen von einer Bauart verfügte, wie sie heute nicht mehr hergestellt wurden. Oh, und der nebenbei Invitros züchten und zu Killern abrichten konnte.
Nun ja, genau genommen bin ich ja auch kein Soldat des Lux Dei mehr,
schloss er den Gedanken ab.
Mittlerweile hatte er sich etwa dreißig Meter tief in den Tunnel hineinbewegt. Das von draußen einfallende Licht wurde immer schwächer, was seine Gewehroptik mit ihrer
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