Das geraubte Paradies
der Zonengarde. Aber mein Wort hat ein gewisses Gewicht. Ich werde zusehen, was ich machen kann.«
»Ich danke Ihnen. Und wenn ich um noch einen Gefallen bitten darf: Könnten Sie Pitlit zu mir bringen lassen? Von mir aus verpassen Sie ihm auch so ein Armband, aber sperren Sie ihn nicht länger alleine ein. Er ist doch noch ein Kind.«
»Ich rede mit Oberst Dymond«, versprach Freeman.
Sie traten aus dem Gebäude, das sich als weißsilberner Kastenbau mit flachem Dach entpuppte und am Ende einer Straße lag, die sich zwischen grünen Laubbäumen hinunter ins Tal schlängelte.
Über einen Hof, in dessen hinterem Bereich zwei tropfenförmige Rotorschweber mit roten Kreuzen auf dem weißen Rumpf standen, gelangten sie zu einem kleinen Wachgebäude, wo ein gelangweilter junger Offizier Carya ein zwei Finger breites Armband umlegte, das aus einem schwarzen, lederartig weichen Material bestand und außer einem Verschluss unten und einem grauen Rechteck an der Oberseite völlig schmucklos war.
»Bezirk eins bis drei sind für dich freigeschaltet«, sagte der Mann in gebrochenem Arcadisch, nachdem er mitbekommen hatte, dass Freeman und Carya sich in der Sprache unterhielten. »Das ist das zentrale Tal rund um die Stadt. Die Industriekomplexe im Osten sind gesperrt, ebenso die Hanglagen, die Einrichtungen der Zonengarde, die Forschungseinrichtungen und das Ratsgebäude. Du wirst zweimal gewarnt, wenn du Sperrbezirke betrittst. Danach wird die Zonengarde alarmiert. Versuchst du, an dem Armband herumzuspielen oder es zu entfernen, wird auch die Zonengarde alarmiert. Und wir finden dich in diesem Tal binnen fünf Minuten, glaube mir. Also fordere uns nicht heraus, in Ordnung?« Er sah Carya fragend an.
»Ich verstehe«, gab sie zurück. Einmal mehr seit ihrem Aufenthalt auf Château Lune kam Carya sich wie eine Gefangene in einem goldenen Käfig vor. Diesmal waren die Schlösser und Gitterstäbe noch besser verborgen, aber sie zweifelte keine Minute daran, dass es ihr schwerer fallen würde, diesen Wärtern zu entkommen, als den Männern des Mondkaisers.
Mit einem Motorwagen brachte Freeman sie zu dem Wohnkomplex, den er als Sichel bezeichnet hatte. Während der Fahrt kam Carya aus dem Staunen kaum heraus. Nicht nur der Wagen selbst war viel leiser, schneller und komfortabler als jedes andere Fahrzeug, in dem sie jemals gesessen hatte, auch jenseits der Fenster fielen ihr unablässig Dinge auf, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Elektrizität beispielsweise, in Arcadion ein Luxus, schien hier im Überfluss zu existieren. Dasselbe musste für Treibstoff gelten, denn es waren vergleichsweise viele Motorwagen auf den Straßen unterwegs und immer wieder glitten Fluggefährte über ihre Köpfe hinweg.
Sie parkten vor dem Gebäude, das mindestens so groß war wie der Tribunalpalast in Arcadion, allerdings deutlich freundlicher wirkte, nicht so schwer an der Last der Jahre tragend und durchdrungen von der Angst seiner Bewohner – mochte es die vor dem Vorgesetzten oder – schlimmer noch – vor dem Inquisitor sein.
Freeman blickte auf ein Gerät, das wie eine schlankere Version des Navigators aussah, den Carya und die anderen eine Weile lang besessen hatten. »Dein Zimmer befindet sich im ersten Stock«, sagte der Wissenschaftler. Er führte sie durch eine weitläufige Eingangshalle zu einer breiten Treppe, die sie nach oben brachte. Am Ende eines gebogenen Ganges blieb er vor einer Tür mit der Aufschrift 154 stehen. »Hier wären wir.«
Er öffnete und ließ Carya ein. Das Zimmer erwies sich als erstaunlich geräumig und war schlicht, aber auf eine fremdartige Weise geschmackvoll eingerichtet. Weiße Wände, ein hellgrauer, fester Teppichboden und bodentiefe Fenster am fernen Ende des Zimmers sorgten für ein enormes Gefühl von Helligkeit und Raum. Neben den Fenstern gab es eine Sitzecke mit blauen Polstermöbeln; ein etwa schulterhohes Regal trennte diesen Teil des Raums von einer Schlafstätte, zu der auch ein Kleiderschrank mit einem riesigen Spiegel gehörte. Daneben führte eine Glastür in einen Waschbereich. Gegenüber befand sich eine kleine Kochzeile. Ein paar gezielt angebrachte Bilder an den Wänden sorgten für zusätzliche Farbtupfer.
»Eine einfache Bleibe, aber ich denke, für den Anfang sollte es genügen«, sagte Freeman.
Unwillkürlich fühlte Carya sich an ihren ersten Abend auf Château Lune erinnert. Auch dort hatten sie der Prunk und die Größe, die sie umgaben, sprachlos gemacht. Nun aber
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